
S-Bahn
Tales and Crimes
Was sich so alles bei der S-Bahn seit über 100 Jahren an Interessanten und Kriminalität ereignet hat
Seit dem ich mit meinen Eltern 1988 in Berlin war habe ich mich in die S-Bahn verknallt. Vor allem in die alten Stadtbahnzüge von 1927. Darum möchte ich hier ein ganz klein wenig auf das was sich dort auch an unschönen Dingen seit über 100 Jahren ereignet hat.
29. Juni 1922
Nachrichten für Stadt und Land. - 29.6.1922
Die amtliche Darstellung des Berliner Unglücks
Das Reichsverkehrsminlsterium teilt mit:
Der Andrang der Reisenden auf die Stadt- und Ringbahn war heute mittag, da die Straßen- und Untergrundbahn um 12 Uhr den Betrieb einstellten, besonders stark. Auf dem Bahnhof Schönhauser Allee war ein starker Andrang zu dem gegen 1 Uhr 08 Minuten in Richtung Gesundbrunnen abfahrenden Zuge. Der Stationsbeamte veranlaßte die auf den Trittbrettern stehenden Reisenden abzusteigen. Eine große Zahl von ihnen sprang aber, als der Zug sich in Bewegung setzte, wieder auf, wie das von den Reisenden vielfach geschieht . Nach Angaben von Leichtverletzten soll sich der Unfall dadurch zugetragen haben, daß die Tür eines von Gesundbrunnen entgegenkommenden Stadtbahnzuges offen stand, nach anderer Lesart dadurch, daß aus einer nicht ganz geschlossenen Tür ein Rucksack und ein Lattenbündel herausgeragt haben. Dadurch sind anscheinend die auf dem erstgenannten Zuge auf den Trittbrettern stehenden Reisenden gestreift und heruntergerissen worden. Feuerwehr und Samariter waren sogleich zur Stelle, so daß in allerkürzester Zeit die Toten und Verletzten geborgen wurden. Man schätzt insgesamt 50 Opfer, darunter 15 Tote
30. März 1925
Jeversches Wochenblatt - 30. März 1925
Schreckensszenen auf Berliner Bahnhöfen.
Auf dem Bahnhof Westend hat sich heute nach Mitternacht eine wüste Schreckensszene ereignet, in deren Verlauf der Mechaniker Matthias Klein aus der Luisenstraße 16 den Eisenbahnassistenten Zastrow erschossen hat und fünf andere Personen, darunter den Arbeiter Reich, der am Bahnhof Westend wohnt, schwer verletzte. Der Täter ist festgenommen worden.
Der Stadtbahnzug, der von Charlottenburg gestern abend gegen 2:50 Uhr aus Westend einlief, wird dort aus dem Betrieb genommen. Ein Rangierer hat vorschriftsmäßig sämtliche Abteile des Zuges untersucht und in einem Abteil dritter Klasse einen Mann schlafend aufgefunden und geweckt, da der Leerzug nach dem Abstellbahnhof gebracht werden sollte.
Der Fahrgast schimpfte auf dem Bahnsteig herum und kam nach dem kleinen Hause, in dem sich die Zugbegleiter aufhalten. Dort setzte er seine Beleidigungen fort, und, da er auch hier nicht weichen wollte, ging der dort diensthabende Eisenbahnassistent Zastrow zum Telephon, um vom Bahnhof Hilfe herbeizurufen. In diesem Augenblick zog der Mann, der Mechaniker Mathias Klein aus der Luisenstraße, einen Revolver und schoß blindlings in das Zimmer. Einer der Schüsse traf den Eisenbahnaddistenten Zastrow, der sofort tot zusammenbrach.
Ein zweiter Beamter wurde auch vou mehreren Kugeln getroffen. Der Täter lief nach dem Bahnsteig C durch den Tunnel. In dem Tunnel schoß Klein auf seine Verfolger, von denen drei verletzt wurden. Es gelang Klein, einen Vorsprung zu gewinnen. Er erreichte den Bahnsteig C, sprang in einen dort leerstehenden Zug, nur sich zu verbergen. Dort wurde er aber entdeckt.
Als mehrere Personen in das Abteil, in dem er sich versteckt hatte, kamen, richtete er von neuem die inzwischen wieder geladene Waffe aus die Verfolger und traf den Arbeiter Wilhelm Reich mit mehreren Schüssen. Reich brach zusammen. Er hat einen schweren Hals- und Brustschuß erlitten, wurde später nach dem Krankenhaus Westend gebracht, wo er in bedenklichem Zustand liegt. Auch die vier anderen Verletzten sind ins Krankenhaus übergeführt worden. Nach heftiger Gegenwehr wurde Klein überwältigt und den inzwischen herbeigerufenen Polizeibeamten übergeben. Er behauptet, stark angetrunken gewesen zu sein.
Eine ähnliche Schreckenstat hat sich auf dem Hochbahnhof Prinzenstratße zugetragen. Dort hat gestern abend gegen 10 Uhr der angetrunkene Klempner Drönert aus der Reinickendorferstraße 72 versucht, die Sperre zu passieren, ohne seine Fahrkarte lochen zu lassen. Der Beamte wollte ihn zurückhalten. Der Betrunkene kam in große Wut, zog sein Messer und hat dem Koutrolleur Kollatschat aus der Warschauer Straße 84 mehrere Stiche am Kopf, im Gesicht und an den Armen beigebracht, so daß der Beamte blutüberströmt zusammenbrach und nach dem Urban-Krankenhause gebracht werden mußte.
Dort haben die Aerzte sich sofort um den Schwerverletzten bemüht, aber der Zustand ist doch derart ernst, das am Aufkommen des Beamten gezweilfelt wird. Drönert wurde vom Publikum gelyncht. Die Polizei konnte nur mit vieler Mühe den Betrunkenen aus den Händen des empörten Publikums herausholen und in Haft nehmen.
Vorwärts, 23. November 1927
Elektrisierung der Berliner Reichsbahn.
Vortrag des Reichsbahnoberrats Laenecke.
Auf Einladung des Architekten- und Ingenieurvereins zu Berlin sprach am Montag aband im Meistersaal Rcichsbahnoberrot Dr. - Ing. L a e n e ck e, Professsor an der Technischen Hochschule zu Breslau, über die Elektrisierung der Stadt-, Ring- und Vorortbahnen. Die Beteutung , die der Verkehr auf diesen Strecken der Reichsbahn für Berlin hat, erhellt aus der Tatsache, daß der Fernverkehr von und noch Berlin täglich etwa 14O.OOO Peronen zu befördern hat, während die sämtlichen Berliner Verehrsmittel, also Reichsbahnen, Hochbahn, Straßenbahn und Autobus, nahezu 4 Millionen Menschen zu befördern haben.
Das Schlimme aber ist, daß sich diese 4 Millionen nicht gleichmäßig auf den ganzen Tag verteilen, sondern daß sich die Notwendigkeit ergibt, zur Zeit der Verkehrsspitzen, also in den Zeiten vor Arbeitsbeginn und nach Arbeitsschluß, ungeheure zusammengeballte Massen schnell und sicher zu befördern, während in den Zwischenzeiten eine vollkommene Ebbe eintritt. Der Bahnhof Fürstenbrunn z. B. hat in der Zeit der Verkehrsspitze etwa 7000 Personen in der Stunde abzufertigen, während er außerhalb dieser Zeit nur hundert hat. Es hat sich nun, und zwar aus verkehrlichen, betrieblichen und wirtschaftlichen Gründen, die Notwendigkeit ergeben, die Stadt-, Ring- und Vorortbahnen zu elektrisieren, weil uns der elektrische Betrieb durch schnelle und leichte Unterteilung der Vollzüge in Dreiviertel-, Halb- und sogar Viertelzüge in den Stand setzt, sich diesem auf- und abschwellenden Verkehr anzupassen. Heute laufen über die Stadtbahn im Höchstfall 24 Züge pro Stunde, in Zukunft werden 40 Züge pro Stunde abgefertigt werden können. Vom Potsdamer Ringbahnhof gehen jetzt stündlich 12, in Zukunft 24 Züge ab. Beim elektrischen Betriebe fallen die vielen
Rangierarbeiten, die mit dem Umsetzen der Lokomotive , dem Wasser- und Kohlennehmen und Schwächen der Züge verbunden sind, fort. Der Betrieb wird einfacher, die Fahrzeiten werden um 23 Proz. verkürzt, und die Zugzahlen können vermehrt werden . Entscheidend für die Einführung des elektrischen Betriebes ist die wirtschaftliche Seite. Die Betriebskosten geben zurück, während die Ausgaben für Verzinsung und Amortisation des Anlagekapttals steigen. Die Personalkosten vermindern sich durch Einschränkung des Lokomotiv-Personals, Rangier- und Werkstättenperfonals. Der Redner betonte, daß die künftigen Triebwagenführer nicht so hohe Gehälter bekommen werden wie die jetzigen Lokomotivführer, und da jetzt etwa 1000 Züge laufen, so werde diese Ersparnis ganz erheblich sein. Es ergibt sich, daß trotz der höheren Ausgaben für die Verzinsung des Anlagekapitals die Elektrisierung wirtschaftlich ist.
Drei große Bauaufgaben sind zu lösen; nämlich 1. die Beschaffung, Umformung und Verteilung des elektrischen Stromes;
2. der Bau der neuen Wagen; 3. die Ausführung einer Reihe von baulichen Aenderungen. Der Strom wird von den BEW. und den Elektrowerken bzw. Trattendorf geliefert werden . Es wird selbsttätige Streckenblockierung eingeführt werden, was übrigens einen Austausch der eisernen Schranken gegen hölzerne zur Folge hat. Die Wagen werden nach den modernsten Grundsätzen gebaut. Die Stadtbahnwagen werden im Gegensatz zu den Wegen der Vorortzüge mehr Stehplätze aufweifen. Auch haben die neuen Stadtbahnzüge 110 Plätze weniger als die jetzigen Stadtbahnzüge. Nachdem die Strecken nach Bernau, Oranienburg und Velten bereits elektrisiert worden sind, sind jetzt die Strecken
Potsdam — Erkner einschließlich Stahnsdorf, Berlin — Grünau und Berlin — Kaulsdorf in Bau.
Durch den neuen Bahnofsbau zwischen Charlottenburg und Eichkamp wird Spandau endlich bessere Verbindungen bekommen. Für die neuen Wagen wird in Niederschöneweide eine große Werkstatt erbaut.
Der Vorträg wurde mit großem Beifall aufgenommen. Ein Diskussionsredner bemängelte allerdings mit Recht, daß der Vortrag auf die verkehrspolitische Seite gar nicht eingegangen sei, und allzu sehr die wirtschaftspolitische betont habe.
Vorwärts, 5. Dezember 1927
Ueberfall in einem Nordringzug.
Der Ueberfallene schwer verletzt.
Im Eisenbahnwagen wurde in der vergangenen Nacht ein 25 Jahre alter Maler Karl R. aus der Rauheimer Straße in Wilmersdorf überfallen. Er fuhr in einem Abteil 3. Klasse gegen 1 Uhr vom Gesundbrunnen nach dem Westen zu. Kurz vor
dem Bahnhof Westend bat ihn ein unbekannter Mann, der aus einem Nebenabteil zu ihm hereinkam, um Feuer und versetzte
ihm dann plötzlich einen Schlag auf den Magen und mit einem harten Gegenstände mehrere Hiebe über den Kopf. Der Ueberfallene sprang auf, griff nach oben, zog gerade noch die Notbremse und brach dann zusammen. Der Zug lief aber, bevor er ganz zum Stehen kam, zur Hälfte noch in den Bahnhof ein. So traute sich der Uebeltäter nicht, sich weiter mit seinem Opfer zu befassen, den er wahrscheinlich hat berauben wollen. Er muß aus dem Nebenabteil heraus rasch den Zug verlassen und sich sofort unter die anderen aufgeregten Fahrgäste gemengt haben. Ungehindert entkam er. R. war so schwer verletzt, daß er nach dem Krankenhaus gebracht werden mußte. Der entkommene Räuber ist etwa 40 Jahre alt und hat einen kurzen schwarzen Spitzbart. Mitteilungen an das Raubdezernat im Polizeipräsidium.
Ueber den Ueberfall werden noch folgende Einzelbeiten bekannt: Ristau — so der Name des Ueberfallenen — hatte in Gesundbrunnen ein Raucherabteil 3. Klasse bestiegen. In der Putlitzstraße kam ein anderer Fahrgast hinzu, dem R. aber keine weitere Beobachtung schenkte. Auf der letzten Etappe des Stadtbahnzuges, zwischen den Stationen Jungfernheide und Westend, wurde R. von seinem Gegenüber um Feuer gebeten. In dem Augenblick, als er ahnungslos seine brennende Zigarette hinüberreichen wollte, fiel der Mann über R. her und schlug mit einem stumpfen Gegenstand auf ihn ein. Es gelang dem Ueberfallenen noch mit Aufbietung der letzten Kraft, die Notbremse zu ziehen, dann sank er bewußtlos zu Boden. Als das Zugpersonal nach der Ursache des Notsignales forschte und die Abteile durchsuchte, fand man R. mit einer schweren Schädelverletzung bewußtlos auf.
Vorwärts, 11.Dezember1927
Neubau der Stadtbahnunterführung Holzmarktstraße
Das die Holzmarktstraße kreuzende Ueberführungsbauwerk der Stadtbahn soll baldigst durch einen Neubau ersetzt werden. Die Reichsbahnverwaltung hat diesen Neubau beschließen müssen, nachdehm vor einigen Monaten unter der Last eines fahrenden Stadtbahnzuges eine Beschädigung entstanden war. Als Ursache des Schadens der selbstverständlich sofort durch Verlaschung einstweilen behoben wurde, wird sogenannte "Ermüdung des Material" angenommen. Die Reichsbahnverwaltung hat beim Magistrat angefragt, ob die Stadt irgendwelche durch die Verkehrsentwicklung gebotene Wünsche für den Neubau hat. Der Magsstrot ist der Ansicht, daß In kurzer Zeit die Holzmarktstraße als eine Hauptausfallstraße nach dem Osten wird ausgebaut werden müssen. Er hält daher für nötig, daß die kommende Straßenerweiterung berücksichtigt wird. Die Straße müßte bis auf 34 Meter verbreitert werden, wobei das benachbarte Gasanstaltsgrundstück in Anspruch zu nehmen wäre. Auch das Ueberführungsbauwerk wäre dann dieser Straßenbreite anzupassen. Die für die Stadt entstehenden Kosten werden auf 1 Million Mark veranschlagt . Der Magistrat ersucht die Stadtverordnetenversammlung um Zustimmung zu dem vorgelegten Straßenverbreiterungsentwurf.
21. Dezember 1927 Mord an Dora Perske
Vorwärts, 27.Dezember 1927
Schüsse auf einen Stadtbahnzug .
Der Vorsteher des Bahnhofes Schmargendorf beobachtete gestern kurz nach 16 Uhr auf dem Laubengelände zwischen dem Bahnhof und der alten Gasanstalt in Schmargendorf einen halbwüchsigen Burschen, der vier Schüsse aus einen abfahrenden Stadtbahnzug abgab. Obwohl Eisenbahn, und Schupobeamte sich sofort auf die Suche nach dem Attentäter machten, war er bereits verschwunden und ist noch nicht ermittelt. Personen sind durch den groben Unfug nicht zu Schaden gekommen.
Vorwärts, 31.Dezember 1927
Stadtbahnfledderer.
Zuchthausstrafen für überführte Verbrecher.
Mit begrüßenswerter Schärfe gehen die Moabiter Gerichte jetzt gegen die Zunft der Stadtbahnfledderer vor. Gestern hatte sich vor dem Großen Schöffengericht ein im Zuchthaus ergrauter Veteran dieses gemeingefährlichen Gewerbes, der Schlächter Hermann G e r a s ch , wegen einer Reihe von Fällen zu verantworten, in denen er zum Teil mit Erfolg, zum Teil vergeblich versucht hatte, schlafende Reisende in Stadtbahnzügen auszuplündern.
Er war von den Beamten des Ueberwachungsdienstes der Reichsbahn beobachtet worden, als er von einem Zug in den anderen stieg und sich in später Stunde gerade die Abteile aussuchte, in denen ermüdete Fahrgäste, meist Arbeiter, schliefen. Der Ueberwachungsbeamte M. folgte ihm stundenlang auf seinen Kreuzfahrten auf der Stadtbahn. In einem Abteil saßen beispielsweise an einem Tage des Wochenendes zwei Arbeiter in den Ecken, die eingenickt waren. Der Fledderer setzte sich zunächst neben einen der Schlafenden, in dessen Tasche er wohl den Wochenlohn vermutete. Der Beamte konnte genau von dem Nebenabteil aus beobachten, daß der unheimliche Fahrgast unter der auf seinem Schoß ausgebreiteten
Zeitung in den Taschen seines Nachbars herumsuchte. Er fand aber nichts und beugte sich dann zu dem ihm gegenübersitzenden schlafenden Arbeiter hinüber, dem er die Brieftasche herauszog. Auf der nächsten Station wollte Gerasch verschwinden, wurde ober festgenommen. Vorher schon war er bei ähnlichen Manipulationen beobachtet worden. Trotzdem der alte Gauner alles leugnete, wurde er für überfübrt erachtet und zu zwei Jahren Zuchthaus, fünf Jahren Ehrverlust verurteilt und wegen seiner Gemeingefährlichkeit dauernd unter Polizeiaufsicht gestellt. —- Vor wenigen Tagen hatte sich das Große Schöffengericht mit einer ganzen Bande von Stadtbahnfledderern zu befassen, die in der gleichen Weile vorgegangen war . Zwei von ihnen, Max Günther und Paul Kurowski, die schon beide vielfach vorbestraft sind , der eine zwölfmal , waren die Anführer der Bande. Auch sie gehörten seit langem der Zunft der Stadtbahnfledderer an, während die Mitangeklagten Nikolaus Becker und Johann Madrafki sich in früheren Zeiten auf anderen Gebieten betätigt, sich aber seit Jahren straffrei gehalten hatten. Die Bande hatte u. a. einem Bierfahrer, der Im Stadtbahnabteil schlief, eine Brieftasche mit 360 Mark geraubt. Als sie dabei waren, den Raub zu teilen, wurden sie abgefaßt . Das Schöffengericht verurteilte Günther und Kurowski zu je2 1/4 Jahren Zuchthaus, 5 Jahren Ehrverlust und Stellung unter Polizeiaussicht. Becker und Madraski kamen mit 9 und 6 Monaten Gefängnis davon.
Vorwärts, 10. Juni 1928
Ab Montag elektrische Stadtbahn.
Zunächst vereinzelte Züge auf der Strecke Erkner — Potsdam .
Das Langersehnte soll nun endlich Ereignis werden. Die elektrische Streckeneinrichtung auf der Stadtbahn ist, wie vom „Vorwärts" wiederholt ausführlich mitgeteilt , so weit vollendet, daß am Montag die ersten elektrischen Züge auf der Strecke Erkner — Potsdam verkehren können. Am Sonnabend gab es eine abschließende Probefahrt, die die Vorzüge der neuen Betriebsart noch einmal offenbar werden ließ.
Vom Bahnhof in Erkner, der auch einen neuen Wagenschuppen für die Unterstellung der elektrischen Züge erhalten hat, setzt sich der Probezug in Bewegung . Die sechs Wagen, die einen „Vollzug" bilden, glänzen im Schmuck der frischen, lebendigen Farben, die gegen das triste Braun und Grün der alten Züge so ungewohnt wirken. Er sieht aus wie eine Schlange mit gelbem Rücken und rot und blau gesprenkeltem Bauch. Die Dächer leuchten silbern in der Sonne. Vom Anfahren des Zuges ist kaum etwas zu merken. Es ist wie bei der Untergrund: ein vorsichtiges Anrücken und dann gleich das Uebergehen in eine Schnelligkeitsstufe, die auf der Stadtbahn ganz ungewohnt ist. Der Aufenthalt auf den vielen Stationen der langen Strecke ist auf ein Mindestmaß herabgesetzt und das erneute Anfahren wird mit größter Genauigkeit und Vorsicht geübt. Auf den Bahnsteigen staunt man das neue schmucke Wunder an und ist enttäuscht, daß es nur ein Probezug ist, der keine Fahrgäste mitnimmt. Im Innern der Wagen ist es gegen die anderen Vehikel der Reichsbahn so hell und freundlich, wie man es, in Berlin wenigstens, noch nicht kennen gelernt hat.
Der elektrische Betrieb wird zunächst nur mit fünf Wagenzügen zu je 6 Wagen durchgeführt. Die zur Aufnahme des vollen elektrischen Betriebes fehlenden Wagenzüge folgen nach und nach und werden gruppenweise eingesetzt. Die eingesetzten fünf Wagenzüge fahren vorläufig mit den Fahrzeiten der Dampfzüge und zwischen diesen nach einem bestimmten Umlaufplan zwischen Erkner und Potsdam. Insgesamt fahren in jeder Richtung 20 Züge. Sonntags ( in Stundenabständen fahren in jeder Richtung 23 Züge.
Die weitere Ausdehnung des elektrischen Betriebes
ist so gedacht, daß zunächst die Strecke Erkner — Potsdam voll aufgefüllt wird. Am 1. August wird voraussichtlich die Strecke nach Spandau folgen. Die Strecke Charlottenburg — Spandau erhält damit stündlich 4 Züge in jeder Richtung. So bald die Strecke Erkner — Potsdam voll bedient werden kann, wird auf den Außenstrecken zwischen Erkner und Stralau - Rummelsburg und Charlottenburg und Potsdam mit den Fahrzeiten des elektrischen Betriebes gefahren werden, die rund 23 Proz. ( teilweise mehr ) kürzer sind als die Fahrzeiten der Dampfzüge. Bei weiterem Fortschreiten der Wagenlieferung werden nacheinander die Strecken Kaulsdorf — Stadtbahn — Südring — Warschauer Straße und Grüna und Stadtbahn — Nordring —Stadtbahn in der gleichen Weise auf den elektrischen Betrieb umgestellt wie die Strecke Erkner — Potsdam. Es darf damit gerechnet werden, daß die, bis etwa Ende des Jahres der Fall sein wird.
Sobald alle an die Stadtbahn angeschlossenen Vorortstrecken voll auf den elektrischen Betrieb umgestellt worden sind , wird auch aus der Stadtbahn mit den kürzeren Fahrzeiten der elektrischen Züge gefahren werden . Auch hier beträgt die Fahrzeitkürzung rund 25 Proz. ( Fahrzeit der Dampfzüge Erkner — Potsdam 2 Stunden. Fahrzeit der elektrischen Züge Erkner — Potsdam1 ½ Stunden. Die Strecke Charlottenburg — Schlesischer Bahnhof wird statt in 33 Minuten später beim elektrischen Betrieb in etwa 22 Minuten durchfahren werden können, und eine Rundfahrt um den Ring , die jetzt fast Z Stunden dauert , wird voraussichtlich in etwa 80 Minuten durchgeführt werden können.
Die neuen Wagen.
Der Vorgänger der neuen elektrischen Stadtbahnwagen läuft seit etwa 2 Jahren auf den zum größten Teil bereits elektrisierten nördlichen Vorortstrecken . Der neue Stadtbahnwagen ist etwa 8000 Kilogramm leichter als der ältere, dabei ebenso stabil und kräftig gebaut . Das erheblich geringer Eigengewicht ( zirka 20 Proz. ) gestattet schnelleres Anfahren und ergibt beträchtliche Stromersparnisse. Für die am stärksten beanspruchten Teile ist Siliziumstahl verwendet worden. Die neuen Wagen besitzen eine Länge von rund 17 Metern und eine Breite von fast 3 Metern . Jeder Wagen ruht auf zwei zweiachsigen Drehgestellen mit dreifacher Abfederung . Hierdurch wird sehr sanfter ruhiger Laus der Wagen , auch auf der kurvenreichen Stadtbahn, erzielt. Der Fußboden liegt zur Erleichterung und Beschleunigung des Ein- und Aussteigens in fast gleicher Höhe mit der Bahnsteigoberkante. Seitliche Schutzborde verringern den Spalt zwischen Wagen und Bahnsteigkante. Jeder Wagen besitzt auf jeder Seite vier Doppelschiebetüren von 1,20 Meter lichter Weite, so daß gleichzeitig 2 Personen die Türen durchschreiten können . Die Schiebetüren werden kurz vor der Abfahrt des Zuges vom Führerstande aus durch Druckluft selbständig geschlossen . Die Innenkanten der Schiebetüren sind mit breiten Gummihohlleisten versehen, durch die jede Verletzung von Reisenden, auch wenn sie unglücklicherweise einmal zwischen die sich schließenden Türen kommen sollten , verhindert wird . Während des Anfahrens der Züge ( zirka ½ Minute ) werden die Türen durch die Druckluft verschlossen gehalten; nachher entweicht sie wieder selbsttätig.
Vor dem Versuch , auf schon fahrende Züge aufzuspringen, muß bei dm neuen elektrischen Zügen ganz besonders gewarnt werden , weil dies bei den ungewohnt hohen Anfahrbeschleunigungen äußerst gefährlich ist und außerdem die Türe während des Anfahrens doch nicht mehr geöffnet werden können. Die Raumeinteilung ist bei den neuen Wagen im wesentlichen die gleiche geblieben wie bei der älteren Bauart 1925 , Quersitze mit Mittelgang und reichlich Raum für Stehplätze. Der Triebwagen enthält 54 Sitz - und 134 Stehplätze, der Beiwagen 58 Sitz- und 150 Stehplätze.