Der Mord bei Ostiem am 1. Februar 1913
24. Juni 1913 -"Zeitung für Stadt und Land"
Der Mord bei Ostiem
Oldenburg 24. Juni
Leider gehören Mordprozesse vor dem Oldenburger Schwurgericht nicht zu den Seltenheiten. Im letzten Jahrzehnt kam dort so mancher betrübende Fall, in dem ein Mensch gewaltsam getötet worden war, zur Verhandlung. Heute handelt es sich um den Fall Hilberts Holtermann. Der Andrang zum Zuhörerraum ist sehr stark, erfreulicherweise hat das Gericht Karten ausgegeben, wodurch einer Überfüllung des Zuhörerraums vorgebeugt worden.
Aus der Anklagebank nehmen Platz:
1 . Der Arbeiter Johann Hilberts , geb. am 27 . März 1882 zu Wiesen, wohnhaft zu Klosterneuland.
2 . Die Ehefrau des Arbeiters Johann Holtermann, Wilhelmine geb. Kaiser, geb. am 11. Juni 1880 zu Funnix, Kreis Wittmund , wohnhaft zu Klosterneuland .
Das Gericht setzt sich zusammen aus den Herren Landgerichtsdirektor Bothe, Landgerichtsrat Dr. Högel Assor Mehrens; Gerichtschreiber ist Referendar Rolfs.
Die Verteidigung liegt in den Händen der Rechtanwälte Ehlermann und Greving.
Die Anklags vertritt Erster Staatsanwalt Riesebieter.
Hilberts ist angeklagt, in der Nacht vom 1. zum 2. Februar 1913 zu Ostiem einen Menschen, nämlich den Arbeiter Johann Holtermann aus Klosterneuland, getötet, und die Tötung mit Überlegung ausgeführt zu haben.
2 . Die Ehefrau Holtermann ist angeklagt, einen anderen nämlich den Arbeiter Johann Hilberts aus Klosterneuland, zu der von demselben begangenen Handlung, nämlich den an ihrem - Ehemanns begangenen Mord, durch Geschenke oder Versprechen, durch Drohung, durch Mißbrauch des Ansehens oder der Gewalt, durch absichtliche Hinterführung oder Beförderung eines Irrtums oder durch andere Mittel vorsätzlich bestimmt zu haben.
Der Angeklagte Hilbers
ist ein großer schlanker Mensch, der keinen unsympathischen Eindruck macht. Er hat von 1904 bis 1906 Bei der ersten Kompagnie des Infanterie-Regiments Nr. 91 gedient, Vorher hat er bei verschiedenen Landwirten und bei Kanalschiffern gearbeitet. Später hat er in verschiedenen Betrieben, Viehhändlern, bei Gelegenheitsarbeiten in Feldhausen, bei Unternehmern in Wilhelmshaven und Rüstringen im Juni 1909 bei den Kalksandsteinwerken bei Heidmühle, dann wieder in Wilhelmshaven, bei dem Fuhrunternehmer Looschen in Schaar, vom 1 . Mai bis 1. November 1911 bei Landwirt Daun in Horster Grashaus, dann wieder beim Fuhrunternehmer Neumann in Heidmühle, und in der letzten Hälfte des Jahres 1912 auf den Kalksandsteinwerken bei Heidmühle gearbeitet.
Die Angeklagte Holtermann
hat sich am 8. Mai 1898 mit ihrem Ehemann verheiratet. Ihre Mutter ist gestorben, als sie, die Angeschuldigte, noch jung war und mit ihren Eltern in Funix wohnte. Der Vater hat sich bald darauf wieder verheiratet und ist nach Rüstringen gezogen. Ihre Stiefmutter scheint sich um ihre Erziehung wenig gekümmert zu haben.
Die Eheleute Holtermann
haben nach ihrer Verheiratung bis zum 1. Juni 1911 in Rüstringen gewohnt und sind dann nach Klosterneuland gezogen, wo sie sich ein eigenes Haus erwarben. Etwa 1907 erbte Holtermann von seinem Vater 3500 M. Sie lebten in guten Vermögensverhältnissen, da der Ehemann Holtermann sehr sparsam war.
Die Vorgeschichte.
Im September 1912 ist der Angeschuldigte Hilberts zu den Eheleuten Holtermann in Kost und Logis gekommen. Er arbeitete damals auf den Kalksandsteinwerken bei Heidmühle, von Weihnachten bis Neujahr bei dem Fuhrunterehmer Neumann in Heidmühle. Vom 2. bis 25. Januar hatte er infolge eines kranken Fingers nicht gearbeitet. Der Ehemann Holtermann war tagsüber abwesend, da er auf der Werft in Wilhelmshaven arbeitete. Die Anklage nimmt an, daß es in dieser Zeit zu intimem Verkehr zwischen Hilberts und Frau Holtermann gekommen ist. Auch der Außenwelt gegenüber machten sie gar kein Hehl von ihren Bezieungen. Allgemein ist über ihr Verhalten gesprochen worden. Zwei Nachbarn haben Holtermann auch nicht lange vor seinem Tode auf das Verhalten seiner Frau aufmerksam gemacht, infolgedessen er die Angeschuldigte zur Rede gestellt hat. Doch auch in seiner Gegenwart genierten sie sich nicht, miteinander zärtlich zu tun, wie sich dies namentlich auf einem Balle an Kaisers Geburtstage beim Wirt Klische zeigte. Hilberts traktierte hier Frau Holtermann mit allerlei Sachen, tanzte fast ausschließlich mit ihr und brachte dann, nachdem der Ehemann Holtermann betrunken geworden war und sich entfernt hatte, allein Frau Holtermann nach Hause.
Die Mordnacht.
Am 1. Februar d. J. fand in der Faßschen Wirtschaft in Ostiem eine Bürgervereinsversammlung statt. Holternn war Mitglied des Vereins, Hilberts dagegen nicht. Sie find kurz nach 8 Uhr von Hause weggegangen, und zwar über Heidmühle, die Chaussee entlang, sind kurz vor 9 Uhr beim Wirt Hinrichs in Ostiem eingekehrt, wo sie aber nur kurze Zeit verweilten, und dann zur Faßschen Wirtschaft gegangen. Hilberts blieb in der Gaststube, Holtermann ging in den Saal hinein, wo die Versammlung abgehalten werden sollte, ist aber dann nach Verlauf von 10 Minuten zurückgekommen und hat nun bis gegen 1/2 12 Uhr zusammen mit Hilberts in dem Faßschen Lokale gekneipt. Etwa um 1/2 12 Uhr sind sie fortgegangen. Holterrnann war angetrunken, Hilberts hat niemand eine Trunkenheit angemerkt.
Am andern Nachmittags um 5 Uhr wurde in der Nähe des Bahnhofs Ostiem
in einem Graben Holtermaun als Leiche gefunden.
der äußere Befund zeigte und die erfolgte Leichenöffnung hat dies bestätigt, daß er erstochen worden ist. Vier Zentimeter oberhalb der rechten Augenbraue befand sich eins gralinige, zwei Zentimeter lange Hautabschürfung. Am Halse fanden sich drei gradlinige Durchtrennungen der Haut. Die erste saß am unteren Rande des Unterkiefers, und war 2 1/2
Milimeter lang. Eine zweite Wunde befand sich in der Höhe des Kehlkopfes; sie war 3 Zentimeter lang und klaffte 6 Milimeter auseinander. Eine dritte Wunde befand sich ebenfalls in der Höhe des Kehlkopfes, neben der Mittellinie beginnend und von da an 12 Millimeier horizontal nach links verlaufend. Als Todesursache kommen nach dem ärztlichen Gutachten nur die beiden letztgenannten Verletzungen in Frage. Ter Tod ist durch Verblutung eingetreten, und zwar im Anschluß an die Verletzung großer Halsgefäße. Sterbend oder nach erfolgtem Tods ist Holtermann in den Graben gelangt.
Der Verdacht.
Der Kopf hat in der Richtung nach Jever zu gelegen, der Kopf befand sich unter Wasser, Brust und Leib haben aus dem Wasser herausgesehen. Die Mütze lag zu Füßen der Leiche, einige Schritte davon entfernt. Der Fundort befand sich 150 Meter westlich von dem Bahnhof Ostiem in der Richtung nach Jever. 9 Meter vom Graben entfernt ist auf dem nebengelegenen Acker ein Dolchmesser gefunden worden; die dazu gehörige Lederscheide lag zwei Schritte von der Leiche entfernt. In der Nacht, wo die Tat begangen ist, war starker Schneefall; dadurch erklärt sich das späte Auffinden der Leiche. Der Verdacht der Tat lenkte sich bei dieser Sachlage sofort auf Hilberts; er wurde zu Hause angetroffen und gleich festgenommen. Zunächst hat er die Tat geleugnet und behauptet, Holtermann sei nach dem Weggänge aus der Faßschen Wirtschaft die Bahnstrecke nach Heidmühle entlang gegangen, während er die Chaussee nach Schortens und von dort einen Seitenweg nach Klosterneuland eingeschlagen habe.
Rechtsanwalt Greving vertritt Frau Holtermann, Rechtsanwalt Ehlermann Hilberts.
Die beiden Angeklagten betreten in zuversichtlicher Haltung den Schwurgerichtssaal, als ob sie sich gar nicht bewußt sind, um welch schwere Anklage es sich handelt. Das ändert sich aber bald. Als Frau Holtermann die 59 Zeugen sieht, wird die Erinnerung an die furchtbaren Dinge doch in ihr lebendig; sie hält das Taschentuch vor das Gesicht und weint; sie ist eine mittelgroße Frau.
Nach Bildung der Geschworenenbank, erfolgt der Zeugenaufruf. Es sind 59 Zeugen geladen; außerdem sind zwei Sachverständige erschienen: Medizinalrat Dr. Schlaeger und Dr. Ruschmann.
Zwei Tage Verhandlung.
Der Vorsitzende teilt mit, daß man sich heute mit dem Vorleben der Angeklagten, ihrem Charakter, ihren Beziehungen zueinander, ihren intimen Beziehungen und schließlich mit der Versammlung , die vor der Mordnacht stattfand, beschäftigen wird . — Morgen kommt der Leichenbefund, das Verhalten der Angeklagten nach dem Morde usw. zur Sprache. Die Verhandlung wird am Mittwochmorgen um 9 Uhr fortgesetzt. Ob heute eine Nachmittagssitzung stattfindet, wird erst der Verlauf der Sitzung ergeben.
Die Vernehmung der Angeklagten
Der Angeklagte Hilberts hat einige Vorstrafen hinter sich, die Angeklagte Holtermann ist unbestraft.
Hilberts.
Vorsitzender: Angeklagter, bekennen Sie sich schuldig? Haben Sie das getan, was Ihnen die Anklage vorhält? — Ja . — Haben Sie Hilberts vorsätzlich totgemacht ? — Nein, mit Überlegnng nicht. — Haben Sie das Messer nicht zu dem Zweck mitgenomnren? — Nein. — Wie find Sie denn dazu gekommen, Holtermann zu töten ? — Ich war von der
Frau dazu angestiftet worden. — Von welcher Frau? — Von Frau Holtermann. — Was hatte sie denn zu Ihnen gesagt? — Ich sollte sehen, daß ich ihn nicht wieder nach Hause brächte; sie wollte ihn nicht mehr vor Augen sehen. — Hat die Frau auch von Heirat gesprochen? — Ja , sie hat gesagt, sie wolle mich heiraten, wenn der Mann tot wäre. — Dann wollten Sie doch den Mann töten. — Nein. — Wenn Holtermann aber weg war, war es Ihnen auch recht . — Ja.
Frau Holtermann
Vorsitzender: Angeklagte, was sagen Sie dazu ? Ich bin unschuldig! — Haben Sie den Ausspruch nicht getan ? — Nein . — Haben Sie nicht gesagt, der Angeklagte soll Ihren
Mann nicht wieder mit nach Hause bringen ? — Nein. — Haben Sie auch nicht gesagt, Sie wollten Hilberts heiraten, wenn Ihr Mann tot war? Haben Sie überhaupt nicht mit
ihm über solche Dinge gesprochen? — Nein . — Hat der Angeklagte Ihren Mann dann aus freihen Stücken getötet? — Ja.
Die Zeugenvernehmung.
Zunächst werden die früheren Arbeitgeber des Angeklagten und solche Personen, die beim Militär oder sonst mit ihm zu tun hatten, vernommen. Das Urteil über Hilberts lautet sehr verschieden. Ein Zeuge sagt : Er war fleißig und ordentlich, ein anderer: es war nichts an ihm auszusetzen; ein Feldwebel sagte: „Er war ein feiger Charakter." Ein Arbeitgeber sagt aus: Ich traute ihm nicht, und habe sich gefreut, daß ich ihn wieder los wurde. Meine Knechte und Mägde sagten mir, daß er das Vieh schlecht behandelte. Ein Zeuge hat einmal Streit mit ihm gehabt. Dabei hat sich der Angeklagte sehr roh gezeigt. Ein Zeuge hat in einem Streit mehrere Messerstiche in Seite und Kopf von ihm erhalten. Hilberts soll sehr zu Streitigkeiten geneigt haben. Er soll grob, aufbrausend , jähzornig sein.
(Bei Schluß der Redaktion dauert dis Sitzung fort.)(1411)
26. Juni 1913 - "Zeitung für Stadt und Land"
Der Mord bei Ostiem
( Nachdruck verboten )
( Fortsetzung des- Berichts aus gestriger Nummer.)
Eine ganze Anzahl Zeugen sagen darüber aus, wie sich die Angeklagten nach dem Mord verhalten haben. Das Verhalten der Angeklagten Holtermann nach der Tat ist ein sehr belastendes gewesen. Während sie selbst zugibt, daß ihr Mann sonst nicht so lange auszubleiben Pflege, hat sie nichts dafür getan, um zu erfahren, wo der Mann geblieben sei. Sie hat weder Verwandte noch Nachbarn benachrichtigt und auch keine Bedenken gegen das Ausbleiben ihres Mannes geäußert. Beide Angeschuldigte haben miteinander gelacht und gescherzt; Hilberts hat sogar Musik gemacht, und als am 2. Februar früh die Zeugin Schmidt Weißbrot brachte, ist sie genötigt worden, hereinzukommen und Kaffee mitzutrinken. Alle sind guter Laune gewesen und haben Scherz gemacht. Andererseits haben Zeugen beobachtet, daß beide Angeschuldigte oft vor die Haustür gekommen sind, um auszuschauen, als ob sie auf irgend etwas lauerten. Als dann durch den Gendarm die Festnahme von Hilberts erfolgt war und Frau Holtermann nach Ostiem ging, um die Leiche ihres Mannes zu sehen, hat auch sie hier ein Wesen zur Schau getragen, das nicht von einer echten Trauer zeugte.
Rechtsanwalt Greving legt Wert auf die Feststellung, daß die Angeklagte, als ihr toter Mann ins Haus gebracht worden ist, in demselben Raume neben der Leiche geschlafen hat. Ein Zeuge bekundet weiter auf Befragen des Rechtsanwalts, daß die Angeklagte eine anhängliche, sorgende Mutter gewesen ist. Sie hing sehr an ihrem Mann, und die Eheleute spielten, wenn der Mann abends nach Hause kam, wie Kinder zusammen.
Eine Zeugin, Frau Kallenberg, hat sich nach dem Mord mit Frau Holtermann unterhalten. Im Verlaufe des Gesprächs hat Frau Holtermann ausgerufen:
„Nu hew ick twee Männer up mien Geweten".
Sie hat auch davon gesprochen, sie wolle sich erhängen.
Der Untersuchungsrichter sagt aus, der Angeklagte sei ihm als ein schwerfälliger Mensch vorgekommen. Manche Frage habe er gar nicht verstanden, und es habe oft lange gegedauert, bis er geantwortet habe. Später habe er dann ganz bestimmte Angaben gemacht, und auf die wiederholte Vorstellung des Untersuchungsrichters: „Ist das nun wahr, was Sie sagen", habe der Angeklagte bestimmt erwidert: „Ja." Unter anderem habe Hilberts bestimmt erklärt, daß er schon beim Verlassen des Hauses die Absicht gehabt habe, Holtermann zu ermorden.
Um 12 Uhr wurde die Sitzung auf 4 Uhr vertagt.
Nachmittagssitzung.
Um 4 Uhr wird die Sitzung wieder eröffnet . Zunächst werden noch einige Fragen an die Angeklagte Frau Holtermann gerichtet. Der Vorsitzende erinnert sie daran, daß sie gesagt habe, sie habe jetzt zwei Männer auf dem Gewissen. — Sie kann darauf nichts erwidern.
Der Vorsitzende verliest darauf die
Schuldfragen
die wie folgt lauten:
1. Ist der Angeklagte Hilberts schuldig, in der Nacht zum 2. Februar 1913 in Ostiem vorsätzlich den Arbeiter Johann Hollermann getötet und die Tötung mit Überlegung ausgeübt zu haben?
2. Ist die Angeklagte Ehefrau Hölter mann schuldig, 1913 in Heidmühle den Arbeiter Johann Hilberts, welcher den Johann Holtermann vorsätzlich getötet und diese Tötung mit Überlegung ausgeführt hat, zu dieser von ihm begangenen strafbaren Handlung durch Geschenke, der Versprechen, durch Drohung, durch Mißbrauch des Ansehens oder der Gewalt, durch absichtliche Herbeiführung eines Irrtums oder durch andere Mittel vorsätzlich bestimmt zu haben?
3. Nur zu beantworten, falls Frage 2 verneint wird: Ist die Angeklagte Ehefrau Holtermann schuldig, 1913 in Heidmühle dem Angeklagten Hilberts, welcher den Johann Holtermann vorsätzlich getötet und diese Tötung
mit Überlegung ausgeführt hat, zur Begehung dieses von ihm begangenen Verbrechens durch Rat oder Tat wissentlich Hilfe geleistet zu haben?
4. Nur zu beantworten für den Fall der Verneinung der ..Frage 1: Ist der Angeklagte Hilberts schuldig, in der Nacht zum 2. Februar 1913 in Ostiem vorsätzlich den Arbeiter Johann Holtermann getötet zu haben, ohne
daß diese Tötung mit Überlegung ausgeführt ist?
5 . Nur zu beantworten, falls Frage 4 bejaht wird: Sind mildernde Umstände vorhanden?
6. Nur zu beantworten für den Fall der Verneinung der Fragen 2 und 3: Ist die Angeklagte Ehefrau Holtermann schuldig, 1913 in Heidmühle den Arbeiter Johann Hilberts , welcher den Johann Holtermann vorsätzlich getötet hat , ohne daß diese Tötung mit Überlegung ausgeführt ist, zu dieser von ihm begangenen strafbaren Handlung durch Geschenke oder Versprechen, durch Mißbrauch des Ansehens oder der Gewalt , durch absichtliche Herbeiführung oder Beförderung eines Irrtums oder durch andere Mittel vorsätzlich bestimmt zu haben?
7. Nur zu beantworten, falls Frage 6 verneint wird: Ist die Angeklagte Ehefrau Holtermann schuldig, 1913 in Heidmühle den Arbeiter Johann Hilberts , welcher den Johann Holtermann vorsätzlich getötet hat, ohne daß diese Tötung mit Ueberlegung ausgesührt ist, zur Begehung dieses von ihm begangenen Verbrechens durch Rat und Tat wissentlich Hilfe geleistet zu haben?
Erster Staatsanwalt Riesebieter
führt u. a . etwa folgendes aus: Das nördliche Jeverland ist im Frühjahre dieses Jahres von einer greulichen Schandtat betroffen worden. Der noch nicht 16jährige Arbeiter Fähnders hatte einen früheren Schulkameraden wegen 15 M meuchlings erstochen. Er erhielt die Höchststrafe, die ihn treffen konnte. Eine Woche früher wurde ein arbeitsamer Mann im Jeverlande von feinem Logismann Hilberts ebenfalls meuchlings hingestreckt. Auch in diesem Fall war es gemeine Habsucht, die den Täter zu dem Verbrechen bewog. Nicht Liebe zu der Mitangeklagten war die Triebfeder. Hätte der Angeklagte die Frau wirklich geliebt, dann wäre sein Verhalten hier in diesem Saale ein anderes gewesen. Er ließ der Frau, wenn von dem Verbrechen die Rede war, keine Schonung zuteil werden . Mit zyhnischem Lächeln sprach er von ihr. Von Liebe kann keine Rede sein, sondern lediglich niedrige Habsucht bewog ihn zu dem furchtbaren Verbrechen. Seine eigenen Worte waren: „Ich tat es, damit ich von der Landstraße wegkam." Ich habe mich gewundert, daß einer der Herren Verteidiger auch die Frage nach mildernden Umständen stellte. Wenn man einem solchen Manne, der sich wochenlang mit dem Mordgedanken beschäftigt hat, mildernde Umstände bewilligen wollte, so wüßte ich nicht, wohin man dann geraten wollte . — Das Aussehen des Angeklagten verändert sich jetzt merklich, Gesicht und Nacken werden rot. Er sieht den Staatsanwalt aber fortgesetzt an. Und hört aufmerksam zu. Die Frau sieht vor sich, nieder, man merkt ihr aber im allgemeinen keine Veränderung an. — Redner geht jetzt die einzelnen Phasen des Prozesses noch einmal durch. Der Leumund der Frau Holtermann sei im allgemeinen kein schlechter gewesen, während über Hilberts'fast nur Schlechtes ausgesagt worden sei. Er sei als roher und gewalttätiger Charakter geschildert worden. Namentlich seien seine schlechten Eigenschaften zutage getreten, wenn er trunken war. Von der Tat selbst sagt Redner u.a.: Der Angeklagte Hilberts hat ausgesagt, daß die Frau ihn fortgesetzt dazu aufgefordert habe, den Ehemann Holtermann totzumachen. Der Gedanke sei von der Frau ausgegangen, und sie habe ihm die Ehe versprochen usw. In der Bürgervereins-Versammlung gab er fortgesetzt Getränke für Holtermann aus; er selbst aber hat wenig getrunken, vielmehr hat er seine Getränke fortgegossen, in einem Falle hat man sogar gesehen, daß er Schnaps in das Bierglas des Holtermann goß. Unterwegs will der Angeklagte Streit mit Holtermann bekommen haben, und ganz zufällig will er gesehen haben, daß er einen Dolch in der Tasche hafte.
Wie ist die Mordtat zu charakterisieren, und ist seine Schilderung richtig? Mord begeht derjenige, der einen andern tötet, und zwar mit Überlegung. Was ist nun Überlegung? Vorsatz hat mit Überlegung nichts zu tun. Mit Vorsatz handelt der, der absichtlich einen Menschen tötet. Mit Überlegung handelt der, der noch ein übriges tut. Es muß die Ausführung eines Planes vorliegen. Er muß sich vorerst überlegt haben: darfst du das tun, und weshalb tust du das? Diese Ueberlegung muß auch noch vorhanden sein, wenn er die Tat ausführt. Mord liegt vor, wenn wir feststellen, daß der Täter nach längerer Ueberlegung den Plan gefaßt hat, den Mord aus zuführen. Auf das Wie kommt es dabei nicht an. Die Sache ist sicher so
gewesen, wie der Angeklagte vor dem Untersuchungsrichter ausgesagt hat. Er hat gesagt: bevor er aus dem Hanse ging, habe er den festen Plan gehabt: du willst heute die Tat ausführen; mit dieser Absicht ging er mit Holtermann in die Bürgerversarnmlung, und absichtlich hat er ihn betrunken gemacht, da er befürchten mußte, daß der doch immerhin kräftigere Holtermann sich wehren und dadurch den Plan vereiteln würde. Wenn die Ausführungen des Angeklagten vor dem Untersuchungsrichter richtig sind, liegen die Dinge so, daß der Angeklagte wochenlang den Plan hin und her überlegt hat. Das Hin- und Herwägen charakterisiert die Tat als Mord mit Überlegung. Den Dolch hat der Angeklagte von Holtermann geschenkt erhalten, und es war ein tragisches Schicksal, daß dieser schließlichdurch dies Geschenk ums Leben kam. Den Dolch will der Angeklagte ganz zufällig in der Tasche gehabt haben . Das klingt ja ganz unglaubwürdig. Wenn er mit der festen Absicht vom Hause fortging, Holtermann zu töten, wird er den Dolch mitgenommen haben, um die Tat damit ausznführen . Wochenlang vorher hat er davon gesprochen, daß er sich mit Frau Holtermann verheiraten wolle. Er hatte den Gedanken, wie er selbst sagt: Geiht et got, denn geiht et got , wenn nich, denn nich. Redner bittet die Geschworenen schließlich, die Schuldfrage nach Mord mit Ueberlegung zu bejahen; er weist besonders darauf hin, daß Hilberts nicht die Spur von Reue gezeigt hat . ( Die Angeklagte Holtermann weint; sie hält sich mit Mühe aufrecht, so daß man den Eindruck hat , sie könne jeden Augenblick ohnmächtig zusammenbrechen.)
Der Staatsanwalt beschäftigt sich dann mit der Angeklagten, die der Anstiftung zum Morde angeklagt ist. Redner glaubt, daß die Aussagen des Angeklagten Hilberts, die Frau habe ihn wochenlang zu dem Morde gedrängt, richtig ist. Er erinnert an die Vorgänge bei der Kartenlegerin, an die Frage, die sie an das Kind richtete: Möchtest Du Onkel Hilberts wohl als Vater haben? Weiter weist Redner auf das auffällige Benehmen nach der Tat hin, daß sie garnichts getan hat, nach ihrem Manne zu suchen. Dabei blieb er sonst nachts nie aus. Nach eingehender Darlegung des Sachverhalts bat der Staatsanwalt, die Schuldfrage zu bejahen. Die Rede hatte 1 1/4 Stunden gedauert.
Rechtsanwalt Ehlermann
erwidert u . a. folgendes : Der Herr Staatsanwalt hat seine Rede mit Worten des Abscheus über die furchtbare Tat begonnen. Ich glaube, es ist niemand im Saal, der anders darüber denkt. Die Scheußlichkeit der Tat ist so selbstverständlich, daß man darüber nicht anderer Ansicht sein kann. Aber darum handelt es sich nicht. Die Tat ist geschehen, und Sie, meine Herren Geschworenen, haben nun die Pflicht, die Tat strafrechtlich zu beurteilen. Ich als der Verteidiger habe die Aufgabe, dem Angeklagten in der schwersten Stunde seines Lebens zur Seite zu stehen und all das anzuführen, was die Tat milder erscheinen läßt. Es handelt sich hier um den Kopf eines Menschen, vielleicht zweier Menschen. Bejahen Sie die erste Frage, dann gibt es nur eine Strafe, und das ist die Todesstrafe . Wenn die Frage 4 bejaht wird, dann kann der Angeklagte mit Zuchthaus bis zu 15 Jahren bestraft werden. Sie sehen also, welchen Unterschied das Strafgesetzbuch zwischen Mord und Totschlag macht. Der Laie meint, ein Mörder sei jeder Mensch, der einen andern vorsätzlich tötet. Das ist aber
nicht der Fall. Auch der Totschläger hat die Absicht, einen anderen zu töten. Aber was die Tat als Mord charakterisiert, das ist die Überlegung. Die Überlegung muß auch beim Begehen der Tat vorhanden sein. Ich glaube, es ist niemand hier, der aus der Verhandlung die Überzeugung gewonnen hat, daß die Tat mit Überlegung ausgeführt worden ist. Aus den Zeugenaussagen haben wir ein Bild von dem Angeklagten gewonnen, das ihn als feigen, willenlosen, jähzornigen Menschen mit geistiger, seelischer und moralischer Minderwertigkeit darstellt. Der Mutterboden zu dem Verbrechen ist in dem Verhältnis zwischen den beiden Angeklagten zu suchen, das Redner eingehend schildert. Er führt dann weiter u. a. folgendes aus: Ich habe nicht den Eindruck, daß Hilberts die Absicht hat, die Schuld auf seine Mitangeklagte Holtermann abzuschieben. Der Herr Vorsitzende hat ihn auf das Unzweckmäßige solchen Tuns hingewiesen. Und ich habe ihn im Gefängnis immer wieder darauf aufmerksam gemacht, daß er kein Interesse daran habe, die Angeklagte zu belasten. Ich habe ihn auf die ganze Schwere der Folgen hingewiesen, die er über die Frau und über die Kinder hereinbrechen lassen würde. Trotzdem ist der Angeklagte bei
seiner Behauptung geblieben. Darüber habe ich mich bei den Ausführungen des Herrn Ersten Staatsanwalts gewundert, daß lediglich niedrige Habsucht den Angeklagten zu seiner Tat bewogen hat . Ich weiß nicht, woraus man das schließen soll. Das Moment der Habsucht ist im Laufe der Verhandlung ganz in den Hintergrund getreten, die Tat ist lediglich aus dem leidenschaftlichen intimen Verkehr heraus zu erklären. Die Frau war bei dem Liebesverhältnis der stärkere Teil, was schon aus der willenlosen, feigen Natur des Angeklagten heraus zu erklären ist. Redner kommt in seiner weiteren Rede darauf zurück, daß die Angeklagte bei zwei Wahrsagerinnen gewesen ist. In Wilhelmshaven hat ihr eine Wahrsagerin vorher gesagt, sie würde aufs Land ziehen, ihr Mann würde verunglücken, und sie würde einen blonden Mann heiraten. Ich glaube nicht, daß jemand hier ist, der glaubt, daß die Wahrsagerin die Zukunft wirklich vorhergesagt hat. Wer die „Prophetin", der die gütige Natur die Gabe verliehen hat, in die Zukunft zu sehen, hier im Saale gesehen hat, wird einen klaren Begriff von dem groben Unfug erhalten haben. Die Wahrsagerin sagte nicht etwa die Zukunft voraus, sondern die Wahrsagerin bestimmte die Angeklagte zu der Tat und brachte den Angeklagten dahin, zu erzählen, er würde eine Witwe mit zwei Kindern heiraten. Das Gefährliche, das solcher Hokuspokus in sich birgt, ist uns damit klar vor Augen geführt worden . Die beiden Angeklagten kamen in einen Zustand der Liebesraserei hinein, sie lebten fortgesetzt in einer so schwülen Atmosphäre, daß sie ihre Liebe andern gegenüber nicht mehr verbergen konnten. Es war wirklich Liebe, und nicht niedrige Habsucht, die das Herz des Angeklagten gefangen hielt. Soll man denn nur von Liebe auf den Höhen des Lebens reden? Wenn der Angeklagte so lange vor der Tat den Plan hatte, Holtermann zu töten, dann mag er ihn gehabt haben, und wenn er ihn hundertmal hatte, dann
hatte er ihn hundertmal. Er hat ihn dann ebenso oft auch wieder verworfen. Er war ein viel zu wankelmütiger Mensch, als daß er zu einem festen Entschluß kommen konnte. Von Überlegung kann jedenfalls keine Rede fein. Redner schildert die Vorgänge auf dem Ball, dann auf der Bürgerversammlung und dem Nachhausewege und sagt u. a.: Der Angeklagte hat vielleicht auf dem Rückwege ernstlich mit dem Gedanken gespielt, Holtermann zu töten, aber die Überlegung läßt sich nicht Nachweisen. Es ist ausgesagt worden, der Angeklagte habe Holtermann betrunken gemacht. Das ist möglich. Vielleicht hat er vorübergehend gedacht, Holtermann könne unterwegs hinfallen und erfrieren . Es ist darauf hingewiesen worden, daß der Angeklagte in dem Saal aufgeregt hin- und hergegangen ist. Das Aus- und Abgehen war ein Beweis für den Kampf, der in dem Angeklagten tobte. Man hat aber keinen Mann vor sich, der mit Überlegung handelt. Unterwegs bekamen die beiden Streit, und da sticht der willenlose Mensch, der durch Alkoholgenuß, geschlechtliche Exzesse, das Treiben von Frau Holtermann noch willenloser geworden ist, auf seinen Gegner ein. Nach der Tat wirft der Angeklagte das Messer, das in der Gegend bekannt war, das er anderen Personen gezeigt hatte, fort; wenn er mit Überlegung gehandelt hätte, mußte er sich klar darüber sein, daß das Messer ihm zum Verräter werden könnte. Hätte er sich die Dinge überlegt, dann hätte er sich klar darüber sein müssen, daß er nach solchem Vorgehen gleich als Täter entdeckt würde. Er hätte Holtermann nur noch etwas betrunkener machen und in den Graben werfen brauchen; kein Mensch wäre dann vielleicht auf den Gedanken gekommen, daß er der Täter sei. Er hätte Holterrnann auf die Schienen legen können. Glauben Sie wirklich, daß ein Mensch, der mit Überlegung handelt, so vorgeht, wie der Angeklagte gehandelt hat? Er ersticht einen Menschen und wirft den Dolch, womit er die Tat ausgeführt hat, unmittelbar neben der Leiche hin, und dabei weiß jeder Mensch, daß der Dolch ihm gehört. Meine Herren Geschworenen, es ist vielleicht die schwerste Stunde Ihres Lebens, die Sie jetzt durchleben. Es ist vielleicht das erste und das letzte Mal, daß das Leben eines Menschen in Ihrer Hand liegt. Ich kann den beiden Menschen, die hinter mir sitzen, die qualvollen, furchtbaren Tatsachen nicht ersparen, daß ich immer wieder darauf Hinweise, daß es um ihren Kops geht. Es liegt in Ihrer Hand, ob noch ein weiteres Menschenleben oder sogar zwei vernichtet werden sollen. Meine Herren, die Todesstrafe tritt ein, wenn die Überlegung nachgewiesen wird. Wenn noch das leiseste Fünkchen von Zweifel in Ihnen lebt, dann müssen Sie die erste Frage verneinen. Redner bittet schließlich, die Frage nach mildernden Umständen zu bejahen, was er eingehend begründet. Er schließt: Meine Herren, Sie dürfen sich nicht von dem Grauenvollen der Tat in Ihrem Urteil beeinflussen lassen. Sie sitzen hier, um Recht zu sprechen. Auch ein Mann wie Hilberts hat Anspruch aus Gerechtigkeit. Das, bitte ich Sie, bei Ihren Beratungen zu berücksichtigen. — Beinahe eineinhalb Stunden hatte der Redner gesprochen.
Rechtsanwalt Greving
spricht zunächst über die Jugend der Angeklagten Holtermann, erinnert daran, daß die Zeugen sich lobend über sie ausgesprochen haben. Sie sei als gute Frau und treue Mutter geschildert worden . Bis zu den Vorgängen zu Anfang dieses Jahres habe sich in dem Leben der Frau nichts ereignet, was zu ihren Ungunsten spreche. Dann wendet er sich den Vorgängen zu, die in dem Prozeß zur Sprache gekommen find. Die Angeklagte litt unter der Tatsache, daß sie ihrem Manne untreu wurde und sich dem Hilberts preisgab. An die Tatsache, daß sie dem Manne die Treue brach, dachte sie, als sie sagte: „ Nun habe ich zwei Männer auf dem Gewissen." Der Angeklagte Hilberts behauptet, die Angeklagte Holtermann habe ihn zu der Tat getrieben. Meine Klientin bestreitet das. Und es ist nichts vorgebracht worden, was ihre Erklärung erschüttert. Ich habe deshalb gar keinen Grund, nicht auf Freisprechung zu plädieren. Redner beschäftigt sich eingehend mit Hilberts. Es sei vielleicht der Wunsch, im Unglück einen Genossen zu haben, der ihn bestimme, Frau Holtermann zu beschuldigen. Redner fragt: Glauben Sie , meine Herren Geschworenen daß der Angeklagte Hilberts den Dolch zufällig in der Tasche hatte, als er den Mord ausführte? Ich glaube, es ist wohl niemand unter Ihnen, der es tut. Einem Mann, der in solch wichtigen Fragen lügt und verschleiert, kann man auch in anderen Dingen keinen Glauben schenken. Dann darf man Hilberts auch nicht glauben, was er Belastendes gegen Frau Holtermann sagt. Das Fundament ist zu unsicher auf dem die Anklage gegen meine Klientin errichtet wird. Sie können aus solch haltlosen Angaben nicht die mit Überzeugung von der Schuld des Angeklagten ziehen. Und wenn in späteren Tagen, aus dieser Unsicherheit heraus geboren, der Gedanke in Ihnen wach werden muß: „Du hass damals doch vielleicht voreilig gehandelt," dann ist es doch geraten, die Schuldfragen zu verneinen. Redner beschäftigt sich dann eingehend mit dem Liebesverhältnis, das zwischen Hilberts und Frau Holtermann bestand. Selbstverständlich nimmt er seine Klientin dabei in Schutz, während die ganze Last der Schuld auf Hilberts geschoben wird Er fragt schließlich: Können Sie bei dieser Frau eine solche Verkommenheit der Gesinnung feststellen, daß sie dem Mörder ihres Mannes die Hand fürs Leben reichen wollte? Sie sollte einen Mörder dingen, der ihren Mann hinstreckte, und dann mit dem gedungenen Mörder vor den Altar treten, um ihm die Hand fürs Leben zu reichen? Ein Weib, das das könnte, wäre kein Mensch mehr, es wäre eine Kreatur, die man nicht nennen möchte. (Der Angeklagte beugt sich jetzt tief vornüber, er wischt ein paar mal mit der Hand über die Augen, als ob er eine Träne im Auge zerdrückt hat. Die Angeklagte, die vor einer kurzen Pause, die vor dieser Rede stattfand, alle Augenblicke zusammen zubrechen drohte, hat sich jetzt wieder ausgerafft.)
Redner schließt mit der Bitte, die Angeklagte frei zu sprechen. Sie konnte fallen, aber niemals zur Mörderin ihres Mannes werden. Sie erreichte dadurch nichts, denn Hilberts hatte sie, dem gegenüber gab sie alles auf. Stützen Sie sich nicht auf die Bekundungen eines Mannes, der keine Glaubwürdigkeit besitzt . — Reichlich so lange wie die beiden ersten Reden hatte auch diese eindrucksvolle Verteidigungsrede gedauert.
Der Erste Staatsanwalt nimmt noch einmal das Wort, ebenso sprechen die beiden Verteidiger noch einmal. Rechtsanwalt Ehlermann hatte insofern einen schweren Stand, als er nach zwei Seiten zu kämpfen hatte . Sowohl der Staatsanwalt als auch der Verteidiger boten alles auf, Hilberts zu belasten.
Der Vorsitzende fragt nochmals den Angeklagten Hilberts eindringlich, ob er dabei bleibe, daß er die Tat nicht mit Überlegung ausgeführt habe, und daß er von der Frau Holtermann dazu angestiftet worden sei . Der Angeklagte antwortet mit einem bestimmten „Ja!"
Die Angeklagte Holtermann erklärt auf die Frage, ob sie noch etwas zu sagen habe: „Ich möchte den Herren Geschworene nochmals sagen, daß ich unschuldig bin!"
Nach erfolgter Rechtsbelehrung ziehen sich die Geschworenen um 9 3/4 Uhr zur Beratung zurück.
Um 11 Uhr betreten die Geschworenen wieder den Saal, worauf der Obmann, Gerst - Cloppenburg, den Wahrspruch verkündet. Fragen 1 und 2 werden verneint, Frage 4 bejaht, Fragen 5, 6 und 7 verneint (siehe oben).
Danach ist also der Angeklagte Hilberts von dem Mord mit Überlegung freigesprochen, aber des Totschlags schuldig befunden worden. Sämtliche Schuldfragen mit Bezug auf
Frau Holtermann wurden verneint.
Erster Staatsanwalt Riesebieter beantragt, Frau Holtermann freizusprechenund Hilberts zu 15 Jahren Zuchthaus zu verurteilen.
Rechtsanwalt EhIermann bittet, auf eine niedrigere Strafe zu erkennen. Man möge berücksichtigen, daß der Angeklagte unter dem Einfluß von Frau Holtermann, ja zu ihr in absoluter Geschlechtshörigkeit gestanden habe. Auch möge man seine moralische und geistige Minderwertigkeit und seine niedrige Bildung berücksichtigen.
Der Angeklagte Hilberts bittet Um Milde.
Der Gerichtshof zieht sich zur Beratung zurück. Währenddessen setzt die Angeklagte ihren neben ihr stehenden schwarzen Krepphut auf und spricht einige Worte mit ihrem Verteidiger.
Das Urteil
lautete : Die Angeklagte Holtermann wird freigesprochen, der Angeklagte Hilberts wird zu 15 Jahren Zuchthaus und 10 Jahren Ehrverlust verurteilt.
Damit war das Drama abgeschlossen. Der Gerichtssaal leerte sich. Frau Holtermann begab sich zu ihren Verwandten und küßte sie leidenschaftlich. Hilberts wurde abgeführt. Die Tür schloß sich hinter ihm. Einige Tage noch, dann wird er nach Vechta gebracht, um hinter Zuchthausmauern seine schwere Tat zu sühnen. Die Angeklagten hatten sich während der ganzen Verhandlung nicht ein einziges Mal angesehen.
Schluß der Verhandlung nach 11 Uhr. (1447)