Aus: Nordwestdeutsche Studien : gesammelte Aufsätze / von Günther Jansen; Berlin 1904
XV.
Zur Vorgeschichte der oldenburgischen Verfassung
1815-1848
Als die Bewegung des Jahres 1848 über Deutschland hereinbrach, fand sie in Übereinstimmung mit der Verheißung des Art. 13 der Bundesakte landständische Verfassungen in allen deutsche Ländern vor, mit alleiniger Ausnahme des Großherzogtums Oldenburg.
Die Umstände, welche in unserm engeren Heimatstaate die Erfüllung einer mehrfach wiederholten landesherrlichen Zusage bis zum Eintritt jener Februarkatastrophe zurückgehalten haben, gelten im allgemeinen für bekannt.
Lag schon in der eigentümlichen Zusammensetzung des oldenburgischen Staates, welcher neben dem niedersächsischen Stammlande das holsteinische Fürstentum Lübeck und das noch entlegenere linksrheinische Fürstentum Birkenfeld umfasste, für die Herstellung organischer Verfassungseinrichtungen eine nicht zu unterschätzende sachliche Schwierigkeit, so wurde dieselbe noch wesentlich dadurch gesteigert, dass in dem Stammlande selbst landständische Institutionen zu keiner Zeit bestanden hatten, an aller geschichtlichen und standesrechtlichen Anknüpfung fehlte. Nur in Jeverland hatte sich bis in den Anfang des Jahrhunderts in der Versammlung der Landesdeputierten ein schwacher Rest früherer ständischer Berechtigungen erhalten, während die adligen Grundbesitzer der im Fahre 1803 erworbenen münsterschen Landesteile bis zum Übergange der letzteren unter oldenburgische Hoheit Sitz und Stimme im Landtage zu Münster gehabt hatten. Im Fürstentum Lübeck gab es nach der Auflösung des Domkapitels keine Körperschaft von politischem Charakter mehr, und das Fürstentum Birkenfeld endlich war zuſammengestückt aus den Überbleibseln von acht verschiedenen Territorien, welche nach der Übergangsperiode französischer Gewaltherrschaft eine politische Zusammengehörigkeit erst aus sich herausbilden sollten.
Gleichwohl war die Aufgabe wenn auch eine nach vielen Seiten schwierige doch keine unmögliche, wie sie denn ja auch das Jahr 1848 in raschem Aufsturm tatsächlich gelöst hat, und es mag dem äußeren Anscheine nach immerhin wundernehmen, wie ein Zeitraum von mehr als drei Jahrzehnten hat verfließen können, ohne dass die oldenburgische Regierung der Lösung näher gerückt war, als dies beim Ausbruch der Februarrevolution der Fall zu sein schien. Es liegt ja die Betrachtung nahe, dass es der menschlichen Natur schwer wird, Machtbefugnisse aus der Hand zu geben oder mit andren zu teilen, in deren Vollbesitz man sich befindet; allein die allbekannte Persönlichkeit der Regenten, sowohl des Herzogs Peter Friedrich Ludwig wie des Großherzogs Paul Friedrich August, schließt völlig die Annahme als habe es sich in der Behandlung dieser Dinge um eine mehr oder weniger bewusste Verzögerung der Erfüllung einer in der Bundesverfassung begründeten und wiederholt durch landesherrliche Versicherungen bekräftigten Verheißung gehandelt, und andrerseits besteht auch kein Zweifel darüber, dass, zumal nachdem der wirtschaftliche Aufschwung der vierziger Jahre erhöhte Anforderungen an die Mittel des Landes namentlich für den Ausbau des Chausseenetzes zu stellen begann, der Mangel landständischer Einrichtungen von seiner Seite beengender empfunden wurde, als gerade von der oldenburgischen Regierung selbst.
Es mag deshalb nicht ohne Interesse sein, einen gedrängten Rückblick auf die inneren Entwicklungsphasen zu werfen, welche die oldenburgische Verfassungsfrage in dem Zeitraum von 1815—1848 durchlaufen hat. Über diese Hergänge, für deren Darstellung wir auf die archivalischen Quellen zurückgreifen, ist nach der Weise damaliger Zeit nur wenig in die Öffentlichkeit gedrungen und es hat sich noch weniger in der Kenntnis der gegenwärtigen Generationen erhalten. Nicht minder aber ist der Versuch eines solchen Rückblicks fachlich lohnend, da er Tatumstände zu Tage fördert, welche früher nicht genügend bekannt waren und welche wesentlich dazu beitragen dürften, die zögernde Haltung der oldenburgischen Regierung in der Verfassungsfrage in andrem Lichte erscheinen zu lassen, als man sie vor 1848 zu betrachten gewohnt war.
An die Erwägungen, welche der Feststellung eines Planes für die Einführung einer landständischen Verfassung vorhergehen mussten, ist man in Oldenburg unmittelbar nach der Erlassung der Bundesverfassung herangetreten. Bei den Akten befinden sich zahlreiche Aufzeichnungen und Brouillons (?) von der eigenen Hand des Herzogs Peter, welche beweisen, wie eingehend sich dieser mit der Verfassungsfrage beschäftigte. Auch fehlte es schon damals nicht an drängenden Stimmen von außen. Waren es später vorwiegend die gebildete Einwohnerschaft der Hauptstadt und die selbstbewussten Bauern der Marschen, von denen die Mahnungen an die zugesagte Verfassung im Gange erhalten wurden, so waren es jetzt die adligen Gutsbesitzer des Münsterlandes, welche den Ruf nach Gewährung landständischer Einrichtungen mit Beschwerden über Steuerüberlastung verbanden. Der Herzog ließ denselben auf eine Immediat-Eingabe unterm 19. Juni 1816 eröffnen, „dass, da er durch den Beitritt zur Bundesakte sich auch zur Anordnung der darnach zu treffenden Einrichtungen verpflichtet habe, die Einführung derselben und namentlich die Einführung einer landschaftlichen Verfassung bei weiterem Fortschreiten mit der Organisation des Landes sich, ohne dass es desfalls von Seiten der Eingesessenen einer Vorstellung bedürfe, von selbst finden werde, sobald es möglich, darüber mit den Mitgliedern des herzoglichen Hauses zu verständigen und die nötigen Bestimmungen aufzustellen, übrigens aber, da das Herzogtum Oldenburg zu keiner Zeit Stände gehabt habe, und im Hochstift Münster bei dessen Verteilung die ständische Verfassung sowohl durch die Teilung selbst als durch den Reichsabschied aufgelöst sei, der Grund deutlich zu Tage liege, warum das Amt Vechta in diesem Augenblick keine Stände haben könne.“ Im übrigen ergänzte der Herzog das von ihm allmählich zusammengestellte Material noch durch Gutachten, die er namentlich durch den Kammerrat — späteren Staatsrat — Thiele in Eutin sich erstatten ließ. Dass es während seiner Regierung über bloße Vorarbeiten nicht hinauskam, wird seinen Grund zum Teil in der komplizierten Natur der Aufgabe selbst, zum Teil aber auch darin gehabt haben, dass in den zwanziger Jahren die allgemeinen Verhältnisse inneren politischen Reformen überaus ungünstig waren.
Nach dem Regierungsantritt des Großherzogs Paul Friedrich August im Fahre 1829 wurde zunächst eine gründliche Reform der Gemeindeverfassung in Angriff genommen, wobei die Auffassung obwaltete, dass die Organisation der Gemeinden gesetzlich geordnet sein müsse, ehe man auf dieser Grundlage den Bau der Staatsverfassung ausführen könne. Als dann die Julirevolution von 1830 auch hier die Gemüter in Aufregung versetzte und den Verfassungsruf von neuem erschallen ließ, suchte man durch den Hinweis auf die in der Bearbeitung begriffene Gemeindeverfassung zu beschwichtigen, und stellte die Staatsverfassung in Aussicht, sobald die erstere durchgeführt sein werde.
Dass es bei diesem Hinweise nicht um eine bloße Beruhigungsformel handelte, sondern die Aufgabe der endlichen Anbahnung einer landständischen Verfassung vom Großherzog wie von seinen Räten in vollstem Ernst genommen wurde, erweisen die Kabinettsakten jener Zeit auf das überzeugendste. Schon im September 1831 liegt ein vollständig ausgearbeiteter Entwurf einer landständischen Verfassungsurkunde für das Großherzogtum Oldenburg in vier Abschnitten und 78 Paragraphen aus der staatsrechtskundigen Feder des Geheimen Rats von Berg vor. Dieser Entwurf, bei dessen Aufstellung die landständischen Verfassungen von Königreich Sachsen,
Hessen, Meiningen und Altenburg mannigfach als Muster gedient hatten, bildete dann die Grundlage für die weiteren überaus gründlichen Beratungen, an denen sich der Großherzog selbst so eingehend beteiligte, dass er nach Maßgabe verschiedentlich abweichender Auffassungen eigenhändig einen Gegenentwurf formulierte, der dann wieder von dem Geheimen Rat von Berg einer freimütigen Kritik unterzogen wurde. In dem Hin und wider dieser Beratungen wuchs der Verfassungsentwurf bis auf einen Umfang von 165 Paragraphen an. Daneben wurden gleichzeitig die Entwürfe eines Wahlgesetzes (Wahlordnung) und einer Geschäftsordnung für die Provinziallandtage und den General-Auschuß für die gemeinsamen Angelegenheiten des Großherzogtums in allen Einzelheiten ausgearbeitet. Hierbei, wie bei der Bearbeitung einzelner Materien des Verfassungsentwurfs, führte der damalige Kabinettssekretär, spätere Staatsminister Zedelius vielfach die Feder. Im Herbst 1832 war das gesamte Material abgeschlossenen und Einverständnis über alle Punkte erzielt.
Auf den materiellen Inhalt dieses ersten Entwurfs einer Verfassungsurkunde des Großherzogtums Oldenburg näher einzugehen, ist hier nicht der Ort. Es versteht sich von selbst, dass an denselben nicht der Maßstab einer konstitutionellen Verfassung im heutigen politischen und staatsrechtlichen Sinne gelegt werden darf. Nichtsdestoweniger aber würde dieser Entwurf, wenn er ins Leben getreten wäre, unter allen Umständen einen höchst bedeutsamen Abschnitt in der politischen Entwicklung des Landes bezeichnet haben, indem er mit richtigem staatsmännischen Blick dem damals gangbaren preußischen Vorbild bloß beratender Provinzialstände zu folgen vermied, sondern auf den wesentlichsten Gebieten der Gesetzgebung wie der Finanzverwaltung der Landesvertretung eine beschließende Mitwirkung einräumen wollte, ohne welche in der Tat — wie die späteren Ereignisse überall in Deutschland gezeigt haben — die Verfassungsfrage nicht dauernd gelöst werden konnte.
Allein ehe an eine Vollziehung im Wege der Gesetzgebung überhaupt zu denken war, hatte das mühevoll soweit geförderte Werk noch mit Schwierigkeiten zu rechnen, welche nicht in inneren oldenburgischen Landesverhältnissen, sondern in den eigenartigen Beziehungen des Staates und des Regentenhauses zu zwei außerdeutschen Mächten begründet waren. Bei den nahen verwandtschaftlichen Banden, welche das großherzogliche Haus mit den Kronen Dänemark und Russland verknüpften und auf die politische Entstehungsgeschichte des oldenburgischen Staates von entscheidendster Einwirkung gewesen waren, erschien es nicht angängig, mit einem so wichtigen Akt wie der Erlassung einer landständischen Verfassung vorzugehen, ohne vorher wenigstens im allgemeinen der Zustimmung des Königs von Dänemark und des Kaisers von Russland — „der beiden Chefs des Hauses Holstein“ — sich versichert zu haben. Sobald die Arbeit vollendet war, kam es also zunächst darauf an, diese Zustimmung zu erlangen, und es wurde der Weg der dieserhalb erforderlichen Verhandlungen schon am 27. August 1832 durch gleichzeitige Schreiben des oldenburgischen Ministers von Brandenstein an den dänischen Staatsminister von Crabbe-Carisius und an den russischen Vizekanzler Grafen Nesselrode beschritten, welchen unter der Bezeichnung „Grundzüge“ und mit den nötigen Erläuterungen ein die wesentlichsten Bestimmungen des Verfassungsentwurfs umfassender Auszug desselben beigefügt war.
Die Rückäußerung des dänischen Ministers ging schon am 26. September 1832 in Oldenburg ein. Derselbe machte zunächst nähere Mitteilung über Verhandlungen, welche kurz vorher wegen Regulierung der ständischen Verhältnisse in den Herzogtümern Schleswig und Holstein mit einer zu diesem Ende berufenen Versammlung „erfahrener Männer“ stattgehabt hatten, und wendete sich alsdann in scharfer Polemik gegen die Hauptgrundsätze des oldenburgischen Entwurfs, insbesondere gegen die Absicht, die Ständeversammlung mit beschließenden Befugnissen, also mit wirklichen politischen Rechten auszustatten. „Seine Majestät — heißt es in dem ausführlichen Schriftstück — haben die Motive für so weitgehende Konzessionen in reife Erwägung gezogen, ohne indes die Überzeugung von ihrer Notwendigkeit gewinnen zu können; denn es dürfte schwerlich erweislich sein, dass solche Rechte, wie sie im Artikel 5 des Entwurfs finden, in allen deutschen Konstitutionen den Ständen beigelegt wären. Wenigstens machen die deutschen Länder Preußens davon eine Ausnahme, und das Herzogtum Holstein wird bloß beratende Stände erhalten. Erfahrene Männer aus allen Klassen der dortigen Untertanen haben dies im allgemeinen für völlig genügend erklärt und es ist von ihnen allgemein anerkannt, dass die beratenden Stände auf eine ungemein liberale Weise nach der Absicht Seiner Majestät ins Leben gerufen werden. In Preußen entwickeln sich der Geist und die Bestimmungen der dortigen ständischen Einrichtungen auf eine Art, dass die Regierung, wie sie es auch tut, sich in hohem Grade Glück zu wünschen berechtigt ist, nur beratende Stände bewilligt zu haben, während die Tagesgeschichte es bedauerlich und deutlich beurkundet, mit welchen Schwierigkeiten diejenigen Fürsten, die weiter gegangen sind, zu kämpfen haben, um unreifen Perfektibilitätstheorien und Ansinnungen Schranken zu fetzen, die mit dem monarchischen Prinzip und der Aufrechterhaltung des Vertrauens und der Ruhe, mit der Folgeleistung des deutschen Staatsrechts und dem Wesen und dem Begriff deutscher Landstände, im Gegensatz zu dem fremdartigen Repräsentativsystem, als unvereinbar und als eine Folge des Strebens erscheinen müssen, in den zugestandenen Formen Mittel zu finden, eine planmäßig fortschreitende Beschränkung der bestehenden Rechte neben der Erweiterung der neuen Befugnisse zu erringen und die Grenzen einer gegenseitigen rechtmäßigen Wirksamkeit zu verrücken. Die Opfer, zu denen der vorherrschende Geist der neuesten Zeit die Fürsten im Widerspruch mit ihren Rechten und ihrem und ihrer Völker wahrem Glücke vermocht hat, haben selten Anerkennung gefunden und eine andre Frucht getragen, als den Mut zu neuen Eingriffen zu beleben und die Erfolge der Oppositionen zu sichern.“ „Je inniger Seine Majestät“ — sagt der Minister nach weiterer Ausspinnung dieser Betrachtungen — „von der zeitgemäßen Richtigkeit der angedeuteten Gesichtspunkte durchdrungen sind, desto aufrichtiger würden Allerhöchstdieselben das Vorhandensein von Umständen beklagen, die Seine Königliche Hoheit den Großherzog vermögen könnten, rücksichtlich der großherzoglichen Staaten andre zu befolgen. Dies Bedauern erscheint um so motivierter, da ein Teil derselben im Herzogtum Holstein enklaviert ist und die engen Verhältnisse, in denen er zu diesem steht und in dem sich überhaupt die großherzoglichen Lande zu der dänischen Krone und dem oldenburgischen Fürstenhause befinden, eine Gleichförmigkeit der Bewilligungen und der bei diesen befolgten Grundsätze in dieser wichtigen Angelegenheit als so sehr wünschenswert erachten lassen.“ Auch würde der König sehr bedauern, wenn der Großherzog die Öffentlichkeit der Verhandlungen durch Zulassung von Zuhörern gestatten sollte. „Die tägliche Erfahrung bezeugt nur zu sehr, welchen Einfluss der Wunsch, die öffentliche Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen, und das Streben, vor einer großen Anzahl von Zuhörern zu glänzen, auf die Debatten der Versammlungen ausüben, die dem Publikum zugänglich sind. Während die Intelligenz der ständischen Mitglieder oft die ihr zu Gebote stehenden Rednertalente mehr zur Erwirkung dieses verderblichen Eindrucks als zu gründlicher und redlicher Entwicklung der Gegenstände verschwendet und den Versuchungen derjenigen Eitelkeit nachgibt, die in den Kunstgriffen der Wohlredenheit, in gefährlichen Sophismen, in leeren Theorien und im Buhlen um die Gunst der Parteien ihre Befriedigung sucht und findet, kann der bescheidene gründliche Mann, der jene blendenden Gaben nicht besitzt, durch die Anwesenheit eines hingerissenen und befangenen Publici eingeschüchtert und abgehalten werden, seine rechtliche Überzeugung geltend zu machen und ihr den Effekt zu sichern, der ihr in einer nicht öffentlichen Diskussion auf die Stände nicht entstehen möchte.”
Dieser Abfertigung des oldenburgischen Verfassungsentwurfs durch den dänischen Minister folgte alsbald eine Note des russischen Vizekanzlers Grafen Nesselrode vom 12. Oktober 1832, welche, wenn auch in artigerer und vornehmerer Form, dieselbe politische Auffassung mit gleicher Entschiedenheit vertritt und in ihrem Zusammenhange deutlich erkennen lässt, dass sie nicht ohne vorherige Verständigung mit dem Hof von Kopenhagen abgefasst war. „Je mehr Seine Majestät der Kaiser“ — schreibt Graf Nesselrode — „das Vertrauen zu schätzen wissen, das Seine Königliche Hoheit der Großherzog Allerhöchstdemſelben durch die gemachte Mitteilung bewiesen haben, und je aufrichtiger Seine Freundschaft sowie der lebhafte Anteil ist, den der Kaiser an allem nimmt, was den Großherzog und Seine Regierung betrifft, desto ernstlicher und reiflicher hat derselbe auch den Inhalt der ihm vorgelegten Papiere in Erwägung genommen. Mit vorzüglichem Vergnügen hat der Kaiser verschiedene Punkte des Organisationsentwurfs bemerkt, welche beweisen, dass die Erfahrung der letzten Zeiten benutzt worden ist; dazu gehören die Bestimmungen hinsichtlich der Unabhängigkeit der Zivilliste, ferner der VI. und IX. Artikel. Den künftigen Landständen ist indes im V. Artikel ein wesentlicher Teil der gesetzgebenden Gewalt zuerkannt. Schon im Frühjahr 1831 machte der Kaiser dem Großherzog bemerklich, wie nützlich es wäre, vorerst nur Provinzialstände mit beratender Stimme, nach Art der preußischen Organisation, einzuführen. Diese Bemerkungen fanden damals einigen Eingang. Allerdings muss die Verschiedenheit der statistischen und administrativen Verhältnisse Oldenburgs und Preußens auf die ständische Organisation einwirken; allein warum sollte das in Preußen angenommene System in einer großen Monarchie leichtere Anwendung finden, als in einer kleineren? Warum sollte es leichter sein, in dieser das komplizierte System einer Nationalrepräsentation mit seinem Räderwerk einzuführen, als das einfachere Prinzip einer beratenden Instanz, welche bestimmt ist, dem Fürsten mit ihren Einsichten bei der Gesetzgebung zu Hilfe zu kommen? Weder der 13. Artikel der Bundesakte noch die Wiener Schlussakte fordern als Grundlage der landständischen Verfassung ein repräsentatives System, wie mehrere deutsche Staaten es vom Auslande entlehnt haben. Der 57. Artikel der Schlussakte scheint in dieser Hinsicht entscheidend; demzufolge möchte der Anteil, den der Fürst den Ständen an seinen Souveränitätsrechten zugestehen will, ganz von ihm abhängen. Wenn es einerseits weise ist, den sogenannten Forderungen der Zeit zu folgen, so ist es von der andren Seite nicht weniger wichtig, dem Geiste entgegenzuarbeiten, der alles Bestehende umformen will. Das Beispiel der deutschen Fürsten, die jetzt ihren Fehler bereuen, steht uns vor Augen. Welche Notwendigkeit ist vorhanden, mehr zuzugestehen, als die Bundesgesetze fordern, in einem Momente, wo die Beschlüsse des Junimonats Kraft und Mittel verleihen, dem revolutionären Geiste zu imponieren? An diese Betrachtungen knüpfen sich solche, welche die benachbarten Provinzen Schleswig und Holstein betreffen. Es ist für diese Provinzen wie für Oldenburg von der höchsten Wichtigkeit, dass die neuen Institutionen, soviel möglich, auf denselben Prinzipien beruhen, und besonders, dass sie keine Verschiedenheiten aufstellen, die von der einen oder andern Seite Missvergnügen oder Eifersucht erregen könnten. Gewiss aber ist es, dass die Herzogtümer Holstein und Schleswig nur eine bloß beratende Stimme erhalten. Hinsichtlich des Charakters der Einwohner und ihrer Bildung möchten aber wohl die Bewohner des Großherzogtums Oldenburg in dieser wie in andren Beziehungen dieselben Wünsche und Bedürfnisse mit jenen dänischen Provinzen gemein haben. Der gemeinschaftlichen Ruhe wegen erscheint es daher wünschenswert, wenn Seine Königliche Hoheit Sich entschließen wollten, den neuen ständischen Verfassungsentwurf in seiner definitiven Ausführung noch zu verschieben und Sich zu einem gemeinschaftlichen Verständnisse mit Dänemark zu verstehen in der Absicht, in Ihren Staaten, soweit die Lokalverhältnisse es gestatten, eine Regierungsform einzuführen, die mit der in den dänischen Provinzen beabsichtigten in Einklang steht. Der Kaiser fügt diesen Betrachtungen, die die uneigennützigste Freundschaft ihm eingibt, noch eine Bemerkung bei. Die Gefahr der Öffentlichkeit der Verhandlungen hat sich durch die Erfahrung in mehreren Staaten erwiesen; die Tribüne ist leider überall der Kampfplatz der gehässigsten Leidenschaften und der Parteisucht geworden; die Umwälzungen in Frankreich waren die Folgen davon. Gewiss wird die Erfahrung des Auslandes und des Inlandes für die großherzogliche Regierung nicht verloren sein.“
In Oldenburg konnten diese Kundgebungen der nordischen Höfe nicht anders als tiefverstimmend wirken. „Der dänische Minister“ — schreibt Herr von Berg in einem Vortrage an den Großherzog — „drückt das Bedauern des Königs über den Mangel an Übereinstimmung zu lebhaft aus, als dass nicht eine recht gründliche und ausführliche Erörterung seiner Bemerkung notwendig sein dürfte, zumal er selbst so weit geht, auf eine Verbindlichkeit Seiner Königlichen Hoheit, die von dem König befolgten Grundsätze zu adoptieren, hinzudeuten.“ Es ward demnach der Entwurf einer nach Kopenhagen zu richtenden Erwiderung ausgearbeitet, welche höflich, aber entschieden den erhobenen Einwendungen entgegentreten sollte. In demselben ward eingehend ausgeführt, dass der Begriff bloß beratender Stände dem Staatsrecht des alten Reiches fremd sei, und dass der Artikel 13 der Bundesakte nur wirkliche landständische Verfassungen im bisherigen staatsrechtlichen Sinne im Auge gehabt habe. Den Wunsch des Königs, bei den in Frage stehenden Bewilligungen gleichförmig zu verfahren, teile der Großherzog vollkommen, allein derselbe werde durch Rücksichten überwogen, welche der Großherzog in seiner Lage nicht unbeachtet lassen zu dürfen glaube. Aus Gründen, welche die Erfahrung bestätigt habe, werde man sich ohnehin nicht versucht fühlen, das Muster für die landständische Verfassung des Großherzogtums von den sogenannten konstitutionellen Staaten zu entlehnen. Der Großherzog glaube aber in Erwägung seiner Stellung im deutschen Bunde von dem Gesichtspunkte ausgehen zu müssen, dass auf der einen Seite nichts, was von dem Grundsatze der Vereinigung der ganzen Staatsgewalt in dem Oberhaupt des Staats abweichen könnte, zu bewilligen, auf der andern Seite aber durch freie, fest und genau zu bestimmende Bewilligungen das zuzugestehen sei, was im Sinne altdeutscher landständischer Verfassungen für recht und billig zu erachten sei, damit nicht durch Anforderungen, welche nach diesem Vorbilde nicht unbegründet gefunden werden könnten, das kaum errichtete Gebäude erschüttert und der Baumeister genötigt werde, seinen wohlüberlegten Plan zu überschreiten. Den Zweck des Artikels 13 der Bundesakte würdigend und an die Bestimmungen der Wiener Schlussakte sich haltend, zweifle der Großherzog nicht, mit diesen Grundgesetzen in der Hand allen weiteren Ansprüchen und Anmaßungen siegreich begegnen zu können. Bei einer Beschränkung der ständischen Rechte auf bloße Beratung werde der Großherzog einer Reklamation von seiten der Stände undder Notwendigkeit einer Konzession schwerlich entgehen.
Inzwischen erschien im November 1832 der in Hamburg residierende russische Staatsrat von Struve persönlich in Oldenburg, um die Auffassung des St.. Petersburger Hofes in der Verfassungsfrage mündlich weiter zu vertreten. Der Gesandte war angewiesen, nachdrücklich auf drei Punkte hinzuweisen.
„1. Auf den Vorzug, der zufolge der Ansicht des Kaisers der landständischen Verfassung mit beratender Stimme zu geben sei,
2. auf den Nuten und selbst auf die Notwendigkeit, sich mit der dänischen Regierung in grundsätzliches Einverständnis zu setzen,
3. auf den Nachteil, welchen die Öffentlichkeit der Verhandlungen nach sich ziehe.”
Ward nun auch in den Besprechungen mit Herrn von Struve der in dem Entwurf einer Erwiderung an die dänische Regierung näher dargelegte Standpunkt im allgemeinen festgehalten und der Gesandte in den Stand gesetzt, in solchem Sinne nach St.. Petersburg zu berichten, so konnte sich doch nach diesen Vorgängen die oldenburgische Regierung nicht verhehlen, dass sie in ihrer Verfassungsangelegenheit einem geschlossenen Widerstande überlegener Gewalten sich gegenüber befand, welcher zu äußerster Vorsicht in der Behandlung dieser schwierigen Sache nötigte, und es ward demnach, nachdem zumal der dänische Minister in einem Schreiben vom 1. Dezember 1832 wiederholt auf das Verlangen zurückgekommen war, dass oldenburgischerseits nicht anders als gleichzeitig und gleichförmig mit den von Dänemark in Aussicht genommenen Maßnahmen für Holstein und Schleswig vorgegangen werde, auf eine Absendung der vom Geheimen Rat von Berg ausgearbeiteten Erwiderung nach Kopenhagen verzichtet.
Damit war die oldenburgische Verfassungsangelegenheit in eine Sackgasse geraten, aus welcher sie sich bis zum Ausbruch der Februarrevolution des Jahres 1848 nicht wieder zu befreien vermocht hat. Dass nach der damaligen Lage der politischen und staatsrechtlichen Verhältnisse gegenüber dem Veto Dänemarks und Russlands, dem auch Preußen seine Stütze schwerlich versagt haben würde, ein selbständiges Handeln nicht möglich war, lag auf der Hand. Andrerseits mochte man sich auch nicht zu Halbheiten entschließen, von denen man sich sagen musste, dass sie die Verfassungsfrage nicht lösen, sondern nur verwirren würden. So ergab sich denn von selbst die Folge, dass eben nichts geschah und geschehen konnte. Die auf diese Weise für die oldenburgische Regierung geschaffene Situation ist ein markanter Beitrag zu dem traurigen Kapitel von der Einmischung ausländischer Interessen und Einflüsse in innere deutsche Angelegenheiten, welcher erst die Bewegung des Jahres 1848 und nachher endgültig die politische Umgestaltung Deutschlands in den Jahren 1866 und 1870 einen Riegel vorgeschoben hat.
Gegen Ende des Jahres 1836, als die Steuervereinsverträge mit Hannover und den übrigen nordwestdeutschen Staaten das politische Interesse wieder mehr zu beleben begannen, rührten sich die Amtsversammlungen der Marschämter an der Weser von neuem mit Petitionen in der Verfassungsfrage. Man drohte sogar, sich mit Beschwerden an den Bundestag zu wenden. Die Regierung konnte über die wirkliche Sachlage aus naheliegenden Gründen keine Mitteilungen machen, und es blieb ihr nichts übrig, als sich mit ausweichenden Antworten zu behelfen.
So schleppten sich die Dinge hin bis zum Fahre 1847. Inzwischen war im September 1843 der Geheime Rat von Berg — der entschiedene Verfechter des bisher eingenommenen Standpunktes — gestorben. Im Rate des Großherzogs machte sich nunmehr allmählich die wohl einleuchtende Ansicht geltend, dass es angesichts der Mahnungen des Landes und der öffentlichen Meinung unmöglich sei, länger in der passiven Haltung, zu welcher man sich seit 1832 verurteilt fand, zu verharren, und es ward der Versuch gemacht, einen neuen Verfassungsentwurf auszuarbeiten, welcher den Anforderungen Russlands und Dänemarks sich wohl oder übel mehr zu nähern suchen sollte. Am 15. November 1847 traten die Vorstände der oberen Landesbehörden unter dem Vorsitz des Großherzogs zu einer Beratung über diesen Entwurf in Oldenburg zusammen; die Regierungspräsidenten der Fürstentümer und der Bundestagsgesandte in Frankfurt waren dazu einberufen. Kaum waren diese Beratungen abgeschlossen, so trat die große Katastrophe des Februar 1848 ein, welche neben vielen andern Dingen auch diesen Verfassungsentwurf als Makulatur beiseite warf. Als derselbe an die Öffentlichkeit trat, war er schon veraltet und weit überholt. Auf welchem Wege alsdann die so lange hingehaltene Oldenburger Verfassungsfrage — ohne Befragung Russlands und Dänemarks — ihren endlichen Abschluss fand, ist bekannt.