Überfall bei Tweelbäke am 30. Dezember 1912

30. Dezember 1912 - "Zeitung für Stadt und Land"

Mordanfall auf der Bremerchaussee.

Gerüchte über einen Mordanfall wann am gestrigen Lage in Umlauf. Wie man hört, liegt ihnen folgende Tatsache zu Grunde: Am Sonnabendabend zwischen 8 und 9 Uhr fuhr der
bei der Firma Oetken beschäftigte Techniker Barkemeyer mit dem Rade nach seiner in Kimmen wohnenden Eltern in dem jenseits Tweelbäke gelogenen Fahrenbusch, den die Chaussee durchschneidet, wurde er aus dem Hinterhalt angeschossen und schwer verletzt. Nur mit Mühe konnte er sich von dem etwa beim Kilometerstein 9 gelegenen Tatort nach der Schwerdtmannschen Wirtschaft schleppen, wo er zusammenbrach. Telephonisch wurde von Oldenburg aus ein Arzt herbeigeholt, der die sofortige Überführung ins Krankenhaus anordnrte. Dir Verletzung ist eine sehr schwere . Von dem Täter fehlt noch jede Spur; auch über die Motive der Tat herrscht, noch Dunkel. Von der Gendarmerie wurde unter Mitwirkung der Einwohnerschaft im Laufe des Sonntags die ganze Gegend abgesucht, aber ohne Erfolg.
In einem anderen Berichte heißt es: Barkemeyer erhielt einen Schrotschuß an den Kopf, so daß er von seinem Rade fiel und bewußtlos liegen blieb . Als er sich wieder erholte, war das Rad verschwunden. Es wird nun angenommen, daß der Schuß in räuberischer Absicht auf B. abgegeben wurde, und daß der Schütze das Rad geraubt habe. Ob dem B . auch noch andere Gegenstände und Geld abhanden gekommen sind, ist hier noch nicht belannt . Die Gendarmerie hat sofort umfangreiche Recherchen ängestellt. Die Schußverletzung des B . soll ziemlich erheblich sein.
In einer dritten Zuschrift heißt es: Der Täter hat wahrscheinlich versteckt hinter einem Baume gestanden und hatte es auf einen Raubanfall abgesehen. B. wurde am Kopfe so schwer verletzt, daß er bewußtlos lieben blieb. Von dem Tater, der auf dem Rade des Verletzten geflüchtet ist, hat man noch keine Spur. Die Staatsanwaltschaft und mehrere Gendarmen mit eurem Polizeihund hatten sich gestern morgen zwecks Feststellung des Tatbestandes nach dem Tatort begeben. der Schwerverletzte ist nach dem Krankenhause gebracht, wo er bis gestern noch nicht vernehmungsfähig war.

31. Dezember 1912 - "Zeitung für Stadt und Land"

Der ÜberfalI bei Tweelbäke.
Oldenburg . 31 . Tez.

Wir erhalten noch folgende Darstellung des Falles : Der Techniker Barkemeyer der bei Lübben in der Nelkenstraße wohnte, ist um 8 Uhr hier fortgefahren und gegen 9 Uhr beim 8,8 Kilometerstein angelangt . Am Waldessäume hat er einen Mann mit einem Schlapphute stehen sehen, der einen Schuß auf ihn abgab. Barkrmeyer ist dann in das Haus des Anbauers Claußen gelaufen, wo er um Wasser bat. Claußen war erst in dem Glauben, der Fremde wolle sich abwaschcn, und reichte ihm das Wasser. B. trank es aber in einem Zuge aus und erzählte dann von dem Überfall, wie wir ihn oben geschildert haben. Gleich darauf brach er bewustlos zusammen, so daß man Einzelheiten nicht mehr erfuhr. Claußen benachrichtigte Dr. Wintermann, der bald erschien, den Notverband anlegte und für die Ueberführung des Verletzten ins .Hospital sorgte. Die Annahme, der Täter habe das Rad gestohlen und sei damit geflohen, stimmt nicht. Ein Anwohner der Chaussee, der von der Tat noch nicht gehört hatte, fand das Rad aus der Straße, und in der Annahme, der Eigentümer werde sich noch melden, brachte er es einstweilen in Sicherheit. Am anderen Tage stellte sich dann heraus, wie die Dinge zusammenhängen . Bei den weiteren Nachforschungen fand man etwa lOO Meter diesseits des Tatortes, der durch eine große Blutlache gekennzeichnet war, den Hut Barkemeyers. An der entgegengesetzten Seite fand man seinen Überzieher. An den Blutspuren konnte man feststellen, daß Barkemeyer selbst an der betreffenden Stelle gewesen ist. Anzunehmen ist, daß ihn nach dem Schuß die Angst gepackt hat und er dann erst eine Strecke zurückgelaufen ist; danach hat er dann die entgegengesetzte Richtung eingeschlagen. Vielleicht ist er nach dem Übrrfall zunächst auch ganz wirr im Kopfe gewesen, so daß er planlos hin und hergelaufen ist. B. wird allgemein als herzensguter Mensch geschildert, der weder hier, noch in Kimmen mit jemand verfeindet war . Man glaubt deshalb nicht, daß ein Racheakt in Frage kommt.
Auch kann man wohl kaum von einem versuchten Raubmord sprechen, da dem Überfallenen, soweit man feststellen konnte, nichts gestohlen worden ist. An einen Ueberfall durch einen reisenden Strolch glaubt man deshalb nicht, weil es sich bei dem Schuß um eine Schrotladung gehandelt hat. Würde ein Wegelagerer in Frage kommen, dann hätte sich dieser jedenfalls eher eines Revolvers als Schußwaffe bedient. Auch würde ein solcher doch das größte Interesse daran gehabt haben, in den Besitz des Rades, des Geldes und der Wertsachen zu kommen. Möglich wäre einmal, daß der Täter es auf einen anderen abgesehen hätte und Barkemeyer so das Opfer eines verhängnisvollen Irrtums geworden wäre. Andererseits denkt man auch, daß ein Wilddieb als Täter in Frage kommt. Es ist festgestellt, daß Barkemeher an seinem Rade keine brennende Laterne führte, und deshalb taucht der Gedanke auf, daß irgend ein Wilddieb oder Jäger ein Geräusch gehört und gleich geschossen hat, in der Annahme, es handle sich um einen Rehdock. In dieser Richtung hat man dann auch umfangreiche Nachforschungen angestellt, doch konnte der Täter noch nicht gefaßt werden. U. a. war der Landwirt M. in M der Tat verdächtig, da man von ihm weiß, daß er sich wiederholt der Wilddieberei schuldig gemacht hat . Sein Gewehr wurde zu Büchsenmacher Köppens geschickt, der aber nicht feststellte, daß der fragliche Schuß aus dessen Gewehr abgegeben worden sei. M. wurde deshalb nicht festgenommen.
Der Schuß ist nach den Ermittelungen der Staatsanwaltschaft wahrscheinlich aus einer Jagdflinte mit 3.3 Millimeter Schrotpatronen abgegeben worden . Die Orts-Gendarmerie vernimmt jetzt, soweit möglich, die gesamte Bewohnerschaft der näheren und weiteren Umgebung, in der Hoffnung, auf diese Weise noch irgend welche Anhaltspunkle zu gewinnen. Besonders hofft sie, daß die Schrotpatrone den Anstoß zu irgend welchen Ermittelungen geben könnte.
In der Bevölkerung macht sich naturgemäß eine gewisse Unruhe bemerkbar: wer es irgendwie kann, vermeidet das Passieren des Hemmelsbäker Fuhrenkamps bei Dunkelheit; bildet doch die in ihm liegende Strecke der Bremerchaussee ohnehin einen etwas einfamen Weg. Außerdem bringt man den Überfall mit verschiedenen Schießereien in Zusammenhang, die sich im Laufe des Jahres in der Gegend ereignet haben. Am Schulwege wurden zwei Landleute auf ihrem Wagen angeschossen . Eine ähnliche Affäre ereignete sich auf der Hatterchaussee und an einem anderen Orte; die Ermittelung des Täters gelang in keinem Fall. Es wurde schon die Vermutung ausgesprochen, daß es sich um die Taten eines verbrecherisch veranlagten Menschen handeln könnte, dessen Handlungsweise ähnliche Motive wie beim Brandstiften zu Grunde lägen. Nicht ausgeschlossen ist es, daß der Wohnort des Täters in größerer Entfernung sich befindet und daß er die Gegend von Tweelbäke nur deshalb ausgesucht bat, weil hier ein leichtes Entkommen möglich ist. Sehr wünschenswert wäre es jedenfalls , wenn irgend welche Verdachtsmomente sofort der Gendarmerie mitgeteillt würden.
Glücklicherweise bat sich das Befinden Barkemeyers etwas gebessert. Er hat in der letzten Nacht ziemlich gut geschlafen, und es besteht Hoffnung, daß er durckkommt. Die Besinnung hat er wiedererhalten , doch kannte er bis jetzt noch nicht vernommen werden.
Wie uns weiter mitgeteilt wird, ist vor etwa drei Wochen in derselben Gegend auf den Güterbodenarbeiter W. aus Tweelbäke, der auch mir dem Rade fuhr, geschossen worden, doch wurde er nicht getroffen. Leider hat er keine Anzeige erstattet. Wir werden noch daraus hingewiesen, daß der Unglückliche Täler auch einer der vielen Jäger sein kann, die überall herumknallen und die Landstraßen und Wege unsicher machen. Es ist ja üblich, daß sie sich im Dunkeln an Wegen ansetzen, um dem Wild, das über den etwas hellen Weg zur Aesung zieht, das Lebenslicht auszublasen. Wie oft ist schon auf Menschen geschossen worden, die der Schütze für Wild hielt; und wie oft ist schon ein Malheur passiert durch die Schüsse, die im dunkeln Hinlerland, das der Schütze nicht durchschauen kann, unschuldige Opfer fanden. Die ganze Situation des Tweelbäker Falles ist so, daß man diesen Verdacht nicht von der Hand weisen kann, jedenfalls gibt er mit Anlaß, den Täter herauszubringen

2. Januar 1913 - "Zeitung für Stadt und Land"

Der Überfall bei Tweelbäke. * Oldenburg, 1 . Jan.

Wir erhalten hierzu noch folgende Ausführungen: Von der Gendarmerie werden die Nachforschungen in der betrübenden Affäre mit größtem Eifer fortgesetzt, bisher aber immer noch ohne Erfolg . Man hofft aber, wenn der Angeschossene erst vernehmungsfähig ist, von ihm einige Auskunft über den äußeren Eindruck des mutmaßlichen Täters zu erhalten. Allgemein wundert man sich, wie Barkemeyer noch die Kraft gefunden hat , nach dem Hause des Anbauers Ctaußen zu gelangen. Die Tat ereignete sich nämlich am westlichen Ende des Hemmelsbäker Fuhrenkamps. Der Verletzte ist zunächst, nach den Blutspuren zu rechnen, etwa 100 Meter westwärts gelaufen (hier war auch das nächste Haus zu erreichen), hat sich dann aber umgewandt und ist aus der Chaussee durch den 600 bis 700 Meter langen Busch und nach dessen Durchquerung noch nach dem etwa 100 Meter von der Chaussee abseits gelegenen Hause des Anbauers Claußen gegangen. Nachdem er hier Wasser getrunken und von dem Manne mit dem Schlapphut gesprochen hatte, brach er bewußtlos zusammen. Einen Mann mit einem Schlapphut will auch ein junges Mädchen gesehen haben.
Über die Ursachen der Tat sind in der Bevölkerung, die die Gegend genau kennt, die Meinungen geteilt. Man weist darauf hin, daß sich in Tweelbäke im letzten Jahre bereits mehrmals unheimliche Schießereien zugetragen haben. Am Abend des 29. August wurde aus zwei von einer Festlichkeit in Hatten kommende Radfahrer (den Sohn des Wirts Krumland, Bremer Chaussee, und den Maurer Kieselhorst) auf der Hatter Chaussee geschossen . Etwas später ereignete sich eine ähnliche Sache am Schulwege. Die Landwirte Halte und Ramke fuhren abends nach Hause, als schräg von hinten auf sie gefeuert wurde. Beide fanden später zahlreiche Schrotkörner, sog. Finkenkorn, im Stoff von Jackett und Weste. Der eine von ihnen erhielt auch Schußverletzungen im Gesicht. Im Ganzen wurden 5 Schüsse aus einem Revolver oder Tescheng auf sie äbgefeuert. Sie sahen dann einen Mann aufs Rad springen und verschwinden.
Im Fuhrenkamp wurde aus den Milchfuhrmann M. geschossen, glücklicherweise ohne ihn zu treffen. Er will einen Mann mit dunklem oder blauem Anzuge und ähnlichem Hute in den Tannen gesehen haben.
Am Sonnabend vor drei Wochen wurde auf den Güterbodenarbeiter Wichmann geschossen, als er vom Dienst kam. Etwa 11.30 Uhr abends hatte er die Hatter Chaussee erreicht und wollte in diese einbiegen als auf der gegenüberliegenden Seite ein Schuß auf ihn abgegeben wurde. Stücke von einem Pfropfen oder dergl. trafen ihn an der Backe, die noch mehrere Tage schmerzte. In letzterem Falle wurde keine Anzeige erstattet . Bei den übrigen Schießereien verliefen die Nachforschungen aber ergebnislos.
Der Eindruck vertieft sich aber auch immer mehr, daß ein Wilderer oder Jäger am Wege gelegen und den ohne Laterne fahrenden Radfahrer in der tiefen Dunkelheit für ein Stück Wild gehalten hat. Als er dann die schreckliche Wirkung seines Schusses bemerkte, hat er schleunigst das Weite gesucht. Daß in ähnlicher Weise häufiger in der Gegend von Tweelbäke gejagt wird, wird allgemein behauptet. Damit würde auch die Tatsache übereinstimmen, daß sich bei dem von Vielen gehörten Schuß zunächst niemand sonderlich aufgeregt hat. Sogar ein Radfahrer, der noch im Busche fuhr, ist ruhig weitergefahren, als er den Knall hörte, aber nichts von Hilferufen vernahm.
Unter solchen Umständen erscheint es erklärlich, daß die Aufklärungsarbeiten der Gendarmerie auf ganz außerordentliche Schwierigkeiten stößt. Pflicht eines jeden, der irgendwelche Wahrnehmungen gemacht hat, ist es, diese unverzüglich der Staatsanwaltschaft mitzuteilen, selbst wenn sie scheinbar ganz nebensächlicher Natur sind. Sehr wünschenswert wäre es zugleich, wenn den Wilderern , besonders den nächtlichen, energischer als bisher zu Leibe gegangen und wenn gerichtlicherseits das Strafmaß verschärft würde. Sie sind aus alle Fälle eine schwere Gefahr für den Verkehr.
Der Zustand des Verletzten ist, wie wir heute morgen erfahren, zwar noch immer ernst, aber es scheint doch allmählich eine Besserung in seinem Befinden einzutreten . Dieser Tage hatte Barkemeyer Besuch von seiner Mutter, womit er sich etwas unterhalten konnte. Man darf deshalb, wenn die Besserung derart anhält, hoffen, daß man bald Näheres von ihm erfährt.
Der Vollständigkeit halber sei noch ein Gerücht über die mutmaßliche Ursache des Überfalles wiedergegeben, das an Bedeutung gewonnen hat. Danach ist die Möglichkeit, daß Barkemeyer das Opfer einer Verwechselung geworden ist, und daß ein anderer gemeint war, nicht ausgeschlossen. Gewisse Ausschlüsse in dieser Beziehung erwartet man, sobald Barkemeyer vernehmungsfähig ist.

3. Januar 1913 - "Zeitung für Stadt und Land"

Zum Überfall bei Tweelbäke

Der verletzte Techniker Barkemeyerer befindet sich jetzt glücklicherweise auf dem Wege der Besserung. Die rechte Kopsseite ist allerdings noch stark angeschwollen, doch macht sich der Heilprozeß schon bemerkbar . Ob das rechte Auge gelitten hat ist noch zweifelhaft. Der Staatsanwaltschaft wurde mitgeteilt, daß der Verletzte jetzt vernehmungsfähig ist. Im Laufe des heutigen Tages wird sie sich wahrscheinlich zu ihm begeben.
Bezüglich des Täters verfolgt man jetzt eine neue Spur. Man hat einen kürzlich aus dem Zuchthaus entlassenen Mann, der ein Sittlichkeitsverbrechen an einem Mädchen versuchte, aber glücklicherweise gestört wurde, in Verdacht. Er ist wiederholt auf der Bremerchaussee mit einem Rad gesehen worden. Zwei Mädchen haben, wenige Minuten, nachdem die Tat geschehen, dort ein Rad an einem Baum stehen sehen. Das Rad des Verletzten kann es nicht gewesen sein; dieses hat am Boden gelegen. Am Donnerstag soll der Verdächtige in der Nähe der Osenbergs bemerkt worden sein . Die Gendarmerie fahndet mit aller Kraft auf ihn.
Auch von anderer Seite teilt man uns mit, daß der Verdächtige, er heißt Koch, tatsächlich wiederholt in der Gegend von Kreyenbrück und Bümmerstede gesehen worden ist. Wahrscheinlich treibt ihn der Hunger in die Nähe der Wohnungen, wo er durch Einbrüche oder dergleichen sich Nahrung verschaffen kann. Am vergangenen Sonntag hatte er sich abends in den Kuhstall eines Bauernhauses in Kreyenbrück eingeschlichen, wurde hier aber von den Mädchen zwischen den Kühen bemerk und verscheucht. Gestern betrat er
eine einsam gelegene Wirtschaft in Bümmerstede und bat um Essen . Der Wirt erkannte ihn und machte sich auf, um einige handfeste Männer zu holen. Inzwischen trat aber ein
Gast ein, der Koch nicht kannte, und erzählte, die Gendarmerie sei mit Hunden in Bümmerstede und werde man den Koch wohl bald haben. Schleunigst machte dieser sich natürlich aus dem Staube. Die Gendarmerie suchte mit Polizeihunden während des ganzen Tages die Gegend ab. Die Verhaftung dürfte nur noch eine Frage weniger Tage sein, da Koch ohne Mittel ist und die gesamte Bevölkerung an den Ermittelungen seines Aufenthaltsortes teilnimmt.
Von dritter Seite wird uns geschrieben: Eine große Razzia auf den Sittlichkeitsverbrecher Heinrich Koch, der erst kürzlich aus dem Zuchthause entlassen wurde, fand heute morgen in aller Hergottsfrühe in der Umgebung von Bümmerstede statt. Am Abend vorher war sämtlichen Einwohnern der Ortschaft gekündigt worden. Nachdem sämtliche dort befindlichen Schafkoven revidiert waren und ein jedenfalls harmloser Obdachloser verhaftet worden war, ging die Jagd auf den Verbrecher weiter los. Um 1/2 10 Uhr ging zufällig der Bahnhofswirt Pontow vom Verschiebebahnhofe nach Bümmerstede und hörte von der Jagd. Er hatte einen Mann durch die Heide von Tweelbäke kommen sehen, ging auf diesen los, erreichte ihn auf dem Exerzierplatze in Bümmerstede, redete ihn freundlich an und nahm ihn mit bis zur Plümerschen Wirtschaft. Nach der Beschreibung war es der Verbrecher Koch. Pontow setzte sich aufs Rad, um die Gendarmerie zu benachrichtigen, erreichte auch einen Gendarmen bei der Speckmannschen Wirtschaft, und dann ging die Jagd von neuem los.
Leider war der Verbrecher während der Zeit fortgegangen und ist gleich darauf in den Fluhren der Osenberge, trotz sofortiger Verfolgung, leider entkommen. Interessant war
die Bewaffnung der gekündigten Leute von Bümmerstede anzusehen; der eine, ein riesenhafter Mann, war mit einem großen Knüttel bewaffnet, weiter hatte man sich mit Jagdgewehren, Säbeln, Forken usw, versehen, ein rechtes Bild der Bürgerwehr von 1812.

4. Januar 1913 - "Zeitung für Stadt und Land"

Zum Überfall bei Tweelbäke.

Der Zuchthäusler Koch , den man mit dem Überfall in Twelebäke in Verbindung dringt, hat sich gestern freiwillig der Gendarmerie gestellt. Hunger und Entbehrung haben ihn wohl dazu veranlaßt; auch hat er sich wohl gesagt, daß eine Flucht in andere Gegenden oder ins Ausland bei seiner völligen Mittellosigkeit zwecklos sei, und daß er hier, wo die ganze Bevölkerung auf ihn fahndet, sich doch nicht lange mehr hätte verbergen können . Mit dem Überfall will er aber nicht in Verbindung stehen. Er weist darauf hin, daß er ja gar nicht im Besitze von Schußwaffen sei. Ob irgendwo eine Flinte gestohlen worden ist, konnte noch nicht ermittelt werden. Ein weggeworfenes Gewehr ist ebenfalls nicht gefunden worden, so daß auch der Verdacht, Koch könnte sich nach der Tat einfach der Schußwaffe entledigt haben, vorläufig durch nichts gestützt ist.
Die gestern erfolgte Vernehmung des Techni
kers Barkemeyer brachte neue Gesichtspunkte nicht zu Tage. Er hat einen Mann nur ganz oberflächlich gesehen, kann eine nähere Personalbeschreibung aber nicht geben. Die Gendarmerie steht daher nach wie vor vor einem Rätsel, sie setzt ihre Ermittelungen natürlich mit größtem Eifer fort. Eine bestimmte Spur wird auch verfolgt; doch sind die Verdachtsgründe so schwankend , daß sich noch gar nicht übersehen läßt, ob irgend etwas dabei herauskommt. Für die Bevölkerung, namentlich für den weiblichen Teil, ist es allerdings schon eine große Beruhigung, daß wenigstens Koch hinter Schloß und Riegel sitzt, so daß von ihm nichts mehr zu befürchten ist.
Allgemein anerkannt
wird die Energie und Umsicht, mit der die Gendarmerie zu Werke geht . Sie hat alles darangesetzt, in der Sache vorwärts zu kommen. Bedauert werden die hier wohnenden Angehörigen von Koch, brave, rechtschaffene Leute, die sich allgemeinen Ansehens bei ihren Mitbürgern erfreuen. Sie haden durch ihn schon viel Kummer erlebt.
Eine eigentümliche Wirkung hat der Überfall übrigens noch gehabt: Die Waffenhändler haben in den letzten Tagen bedeutend mehr Schußwaffen als sonst umgesetzt . Zweifellos haben manche Leute, die viel auf einsamen Wegen fahren oder gehen müssen, wie Landreisende usw., aus der Angelegenheit eine Lehre gezogen und sich eine Waffe besorgt, um
etwaigen Wegelagerern nicht schutzlos ausgeliesert zu sein.

5. Januar 1913 - "Zeitung für Stadt und Land"

Zum Tweelbäker Überfall. Als dringend verdächtig, den Ueberfall auf den Techniker Barkemeyer ausgeführt zu haben, verhaftete die Gendarmerie gestern den in der Mühlenstraße Hierselbst wohnhaften Eisenbahnarbeiter Halle, früher Unteroffizier beim Oldenb. Dragoner-Regiment Nr . 19, der dann aber entlassen wurde und eine zeitlang als Rottenarbeiter bei der Eisenbahn arbeitete. H. wurde bereits nach dem Tatorte geführt, wo es der Gendarmerie gelang, das Versteck der Flinte, mit der er auf B. geschossen haben soll, ausfindig zu machen und die Büchse zutage zu fördern. Halle hat die Tat allerdings noch nicht eingestanden; er bestreitet auch noch, daß er die Flinte in Gebrauch hatte; nach Lage der Sache ist an seiner Täterschaft aber kaum zu zweifeln. Erwiesen ist, daß er an dem fraglichen Abend vor der Koopmannschen Wirtschaft ein Rad gestöhlen hat, das er bei der Wirtschaft von Krumland gegen das später beim Fuhrenkamp aufgefundene nochmals umtauschte, weil es ihm zu hoch war. Der Gendarm Winter lieferte Halle gestern nachmittag in das Untersuchungsgefängnis ein. Den Transport begleitete eine ungeheure Menschenmenge, die den Täter nicht gerade mit Kosenamen bedachte. Halle, der noch hohe Kavalleriestiefel und eine blaue Eisenbahnerlitewka trug, machte äußerlich einen guten Eindruck, so daß man ihm ohne weiteres ein solches Verbrechen kaum zutraut. Bei den Recherchen, die schließlich zur Verhaftung führten, beteiligte sich in hervorragender Weise die Osternburger Gendarmerie.
Wir erhalten noch folgende Zuschrift: Am Tage des Überfalls bei Tweelbäke wurde vor der Meyerschen Wirtschaft in Drielake ein Fahrrad gestohlen. Das Fahrrad wurde bei der Krumlandschen Wirtschaft mit einem anderen vertauscht, das nachher in Tweelbäke gefunden wurde. Der Verdacht, den Diebstahl ausgesührt zu haben, lenkte sich, auf den Bahnarbeiter Halle. Dieser hatte s. Zt. als Unteroffizier beim Dragoner-Regiment wiederholt Fahrraddiebstähle ausgeführt und sich auch sonst Unredlichkeiten zu schulden kommen lassen. Er war deshalb vom Militär entlassen worden.
Halle wird uns weiter als ein abnorm veranlagter Mensch geschildert. Gestern morgen wurde er auf seiner Arbeitsstätte verhaftet. Die Gendarmen führten ihn nach Tweelbäke, wo der Überfall erfolgt ist, und fand mit Hilfe von Polizeihunden im Gebüsch ein Gewehr, das Halle vor einiger Zeit von seinem Schwager geliehen haben soll. Weiter wird uns mitgeteilt, daß die Gendarmerie in seiner Wohnung in seinem Schrank, der verschlossen war, zwei Patronen gefunden hat. Auf Befragen teilt uns seine Wirtin mit, daß sein Bett in der Nacht nach dem Überfall nicht benutzt worden iss. Ob Halle ein Gewehr in seiner Wohnung gehabt hat, ist seiner Wirtin nicht bekannt, da er seinen Schrank stets verschlossen hielt. Man muß abwarten , ob die Verdachtsmomente sich als begründet erweisen, zumal wir die Mitteilungen, die uns zum Teil erst in später Abendstunde zugingen, nicht alle auf ihre Richtigkeit hin prüfen konnten.

6. Januar 1913 - "Zeitung für Stadt und Land"

Zum Überfall bei Tweelbäke
Man schreibt uns aus Tweelbäke:
Nachdem der Rottenarbeiter Halle von hier und der Arbeiter Koch aus Bümmerstede hinter Schloß und Riegel gebracht sind, atmen die hiesigen Einwohner erleichtert auf, und man kann es ihnen nachfühlen, wenn man weiß, in welcher Angst sie in der letzten Zeit gelebt haben. Koch hat schon zwei schwere Strafen wegen Sittlichkeits-Verbrechens verbüßt. Halle hat sich zwar zu einem Geständnis noch nicht bequemt, doch sind die Verdachtsmomenente schwerwiegender Art. Am Abend der Tat kamen dee Dienstmagd Marie Brinkmann und deren Schwester auf dem Rade von Lintel, von wo sie um 8 .30 Uhr weggefahren waren. Am Fußwege neben der Chaussee beim Hemmelsbäker Fuhrenkamp fanden sie ein Rad quer über den Fußweg liegen; es war das des Architekten Barkemeyer. Kurz vor ihnen bemerkten sie einen Radfahrer, dem sie in ihrer Angst näherzukommen versuchten, plötzlich war er jedoch verschwunden, und bald daraus sahen sie ein herrenloses Rad rechts am Wege stehen. Halle — man nimmt an , daß er es gewesen ist — ist hier jedenfalls vom Rade gesprungen, hat das Gewehr weggeworfen und sich sodann aus dem Staube gemacht; das Gewehr, das Angeschuldigter als seinem Schwager Harms gehörig bezeichnete , wurde drei bis vier Meter von dem Standorte des Fahrrades und in der Nähe des Tatortes gefunden. Tatsächlich hat Halle vor ca. acht Wochen ein Gewehr von seinem Schwager entliehen. Er wohnte bekanntlich in der Mühlenstraße, und zwar mit einem gewissen Eilers zusammen. Dieser hat zwischen den Sachen Halles zwei Patronen gefunden, deren Zeichen und Nummer genau dieselben sind, die der Stöpsel der am Tatorte abgeschossenen Patrone trägt. Halle ist gefürchtet, und bei seinen Eltern und seinen hier wohnhaften Schwiegereltern — ehrenwetten Leuten — darf er seit einiger Zeit das Haus nicht mehr betreten . Man muß abwarten, ob die Braut des H. belastend für ihn aussagen wird. Auch die Schießerei auf den Milchfuhrmann Mönnich wird jetzt aus das Konto Halles gesetzt , denn die Größe der Person sowohl als deren Kleidung passen auf die des Angeschuldigten. Halle hat sich auch wegen Diebstahls zu verantworten, denn er stahl aus einem Eisenbahnwagen ein größeres, in Neuenburg aufgegebenes Quantum Butter, zwei von Heintzen in Westerstede zum Versand gebrachte Schinken und einen größeren Karton mit Marine-Kleidungsstücken, die für Straßburg bestimmt waren. Großes Lob verdient die Osternburger Gendarmerie, daß sie so energisch vorgegangen ist; Tag und Nacht hat sie in hiesiger und benachbarter Gegend gearbeitet.
Die Verdachtsmomente gegen den verhafteten Eisenbahnarbeiter Halle haben sich inzwischen noch verstärkt, so daß allgemein angenommen wird, daß er der Täter ist. Sein bisheriger Lebenslauf zeigt übrigens eine solche Menge von Straftaten, daß man ohnehin den Eindruck gewinnt, es mit einem verbrecherisch veranlagten Menschen zu tun zu haben.
Er steht jetzt im 26 . Lebensjahr. Bis vor etwa zwei Jahren war er Unteroffizier im Dragoner-Regiment. In seiner Korporalschaft kamen fortgesetzt Diebstähle an Geld, Esswaren und Kleidungsstücken vor, die er selber anzeigte. Beim Revidieren der Spinde war er dann der eifrigste. Einmal brachte er einen Sergeanten zur Anzeige, der ihm sein Rad entwendet haben sollte. Dieser wurde auch kriegsgerichtlich verurteilt und entlassen. Schließlich stellte sich aber heraus daß Halle die Diebstähle in der Korporalschast selbst begangen hatte, und daß er das Rad, wegen dessen der Sergeant verurteilt wurde, selber auch gestohlen hatte. Ueber dreißig Diebstähle wurden ihm nachgewiesen. Er erhielt 1 1/2 Jahre Festungshaft, wurde degradiert und in die 2 . Klasse des Soldatenstandes versetzt.
Seit einiger Zeit arbeitete er als Kolonnenarbeiter beim Umbau des Bahnhofs Oldenburg. Häufig wurden seinen Mitarbeitern seit seinem Eintritt Esswaren und dergleichen gestohlen, so daß sie schon im Geheimen einen Verdacht auf ihn geworfen hatten. Da er sehr fix und gewandt war, wurde er während des starken Weihnachtsverkehrs zur Hilfeleistung bei der Eilgutabfertigung abkommandiert. Am ersten Tage seiner Beschäftigung wurde hier ein Karton mit Butter gestohlen, einige Tage später eine Sendung Wurstwaren. Durch sein Benehmen machte er sich verdächtig. Der Leiter der Eilgutabfertignng stellte sofort Erhebungen nach seinem Vorleben an und benachrichtigte die Polizei, nachdem er die früheren Straftaten erfahren hatte . Wie begründet der Verdacht war, zeigte, um das vorweg zu bemerken, dann ja auch die am Sonnabend vorgenommene Haussuchung . Ein ganzer Berg gestohlener Sachen wurde zutage gefördert , darunter zwei prachtvolle, noch nicht einmal angeschnittene Schinken, Wurstwaren, Butter, Marinekleidung und Schuhe mit der Bezeichnung "B.A.K. 1.1.11" (Herstellungsmarkierung des Bekleidungs-Amt Kiel vom 1.1.1911) Die Marineschuhe hatte er bereits an einen Mitbewohner verschenkt. Außerdem fand man eine dem Halle gehörige Hose, die stark mit Schmutz und Schlamm bedeckt war, die er zweifellos am Tage des Ueberfalles getragen hat.
Vor einigen Wochen mietete Halle ein Logis bei einer Wirtin an der Mühlenstraße. Zwei Tage darauf wurde einem Schlafkollegen ein Portemonnaie mit 16 M gestohlen. Man beschuldigte ihn des Diebstahls, nachdem man Kenntnis von seinem Vorleben erhalten hatte. Er gestand die Tat ein und erklärte sich bereit, am 1 . Januar den Betrag zu erstatten. Das geschah aber nicht, so daß am Freitag wegen dieses Falles ebenfalls Anzeige erfolgte.
Seinem Schlafkollegen und seiner Wirtin kam Halle seit dem Diebstahl überaus verdächtig vor. Man bemerkte, daß er stets einen Revolver bei sich trug und auch Gewehrpatronen besaß. Hiervon wurde die Polizei verständigt, als die Zeitungen die Mitteilung von der gefundenen Patronenhülse brachten. Am Tage des Ueberfalles kam er abends 11 1/2 Uhr zu Hause und hantierte in verdächtiger Weise herum. Auch trug er ein merkwürdiges Wesen zur Schau.
Am zweiten Weihnachtstage hatte Halle schon Logis bei einer Frau B. am inneren Damm gemietet, das er am vorigen Sonntag, vormittags, bezog. Am Nachmittage fiel seiner Wirtin sofort auf, daß er sämtliche ihm zur Verfügung gestellten Behälter, wie Schränke und Tische, überaus sorgfältig verschlossen hatte. Er war aber ein sehr ruhiger Mieter. Selten bemerkte man sein Kommen und Gehen. Man kann sich den Schrecken seiner Wirtin vorstellen, als sie am Sonnabend erfuhr, welch gefährlichen Burschen sie beherbergt hatte, und als sie den Haufen Diebesgut sah, den die Gendarmerie in ihren Schränken vorfand.
Sowohl in seiner letzten als auch in seiner vorletzten Wohnung ist Halle wiederholt nachts ausgeblieben oder sehr spät heimgekommen. Er begründete das mit einem Besuch bei seinen Verwandten in Tweelbäke. Tatsächlich ist er aber nie dagewesen. Von einem Verwandten hatte er schon vor Wochen eine Flinte geliehen. Man glaubte schon, er habe sie versetzt. Jetzt wurde sie, wie schon bemerkt, von Polizeihunden, im Fuhrenkamp verscharrt, aufgefunden . Ein Schuß war noch darin. Die von seinem Schlafkollegen bei ihm gesehenen Patronen (3,5) sind von derselben Art wie die än der Unfallstelle gefundene Hülfe. Wenn man sich dies alles vor Augen hält , gewinnt die Meinung, Das Halle der Täter ist, und daß es sich um einen wohlüberlegten Raubmord handelte, an Bedeutung. Hinzu kommt noch eins. Am Sonnabend, den 30. November, wurde bekanntlich abends 11.30 Uhr auf den Güterbodennarbeiter Wichmann bei der Einmündung der Hatter Chaussee geschossen. Wichmann trug seinen Monatsverdienst für November in der Tasche, was Halle, der die Verhältnisse von Wichmann genau kannte, wohl wußte. Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, daß auch hier vielleicht ein Raubmord geplant war. Da Halle stets einen Revolver bei sich trug, gewinnt die Meinung, daß er auch mit den übrigen Schießereien in Verbindung steht, an Bedeutung, besonders, da er Weg und Steg in Tweelbäke genau kennt, und so in der Dunkelheit leicht entwischen konnte. Die ursprüngliche Vermutung , daß der Schuß auf den Barkemeyer das Werk eines Wilddiebes ist, ist unter diesen Umständen vorläufig aufgegeben worden. Die Verdachtsmomente gegen Halle haben sich so verdichtet, daß seine Täterschaft sehr wahrscheinlich ist. Den Verdacht gegen den verhafteten Arbeiter Koch hat man fallen lassen. Da er aber dringend verdächtig ist, das Sittlichkeitsverbrechen in Sandersfeld begangen zu haben, bleibt er in Haft.
Unsere Gendarmerie hat also Anscheinend zwei besonders gute Fänge gemacht. Daß es so rasch geschah , trägt ungemein zur Beruhigung der Bevölkerung bei und ist ein gutes Zeichen für die Tüchtigkeit der Hüter der öffentlichen Ordnung.
Ein früherer Kamerad von Halle vom Dragoner-Regiment machte einem unserer Vertreter nachfolgende Angaben: Halle ist von kleiner Statur, dabei körperlich aber sehr gewandt und intelligent. Er war ein tüchtiger Soldat und wurde rasch befördert. Bei seinen Kameraden war er allerdings nur wenig beliebt, weil er ein etwas hinterlistiges, verschlossenes Wesen zeigte, so daß man ihm nicht recht traute. Sobald er zum überzähligen Unteroffizier befördert wurde und so mehr Urlaub erhielt, begann er nachts umherzustreichen. Niemand wußte, wo er sich dann eigentlich aufhielt, bis seine Raddiebstähle ans Licht kamen. Zugleich wurde er auch als Täter der in seiner Korporalschast vorgekommenen Diebstähle entlarvt. Seine ganze Unteroffizier-Herrlichkeit dauerte so nur kurze Zeit . Allgemein bedauert wird das Schicksal des Sergeanten, der von Halle wegen Benutzung seines Rades angezeigt und kriegsgerichtlich wegen Diebstahls verurteilt wurde. Später wurde dann ermittelt, daß Halle das Rad selbst gestohlen haste. Hier zeigte sich so recht die ganze Verworfenheit dieses Menschen.
Ein Geständnis hat Halle noch nicht abgelegt; immerhin wirkt die Wucht der Verdachtsmomente anscheinend doch auf ihn ein, so daß nicht ausgeschlossen ist, daß er sich
zu einem Geständnis bequemt.
Aeußerst niedergeschlagen sind naturgemäß die Angehörigen Halles, sowie seine Braut, mit der er sich demnächst verheiraten wollte. Letztere kann aber eigentlich von Glück sagen, daß die Straftaten jetzt ans Licht kommen; denn es wäre für sie doch ein großes Unglück gewesen, an diesen Menschen ihr lebelang gekettet zu sein.

28. Juni 1913 - "Zeitung für Stadt und Land"

Der Überkall bei Tweelbäke.
Oldenburg , 28. Juni.
Vor dem Schwurgericht stand gestern der Rottenarbeiter Halle, der am 28 . Dezember d. Js . beim Hemmelsbäker Fuhrenkamp auf den Techniker Barkemeyer schoß, so daß dieser wochenlang in größter Lebensgefahr schwebte. Das Gericht setzt sich zusammen ans Landgerichtsdirektor Bothe, Gerichtsassessor Flor und Assessor Mehrens. Die Anklage vertrat Staatsanwalt Dr. Klusmann; die Verteidigung ruhte in den Händen von Rechtsanwalt Möbring; Gerichtsschreiber war Referendar Both. Es waren 14 Zeugen und 5 Sachverständige geladen.
Die Anklage lautete auf
Mordversuch.
Der Angeklagte, Rottenarbeiter Johann Halle, ist am 27. Juni 1888 zu Tweelbäke geboren, wurde also gerade an dem Tage, an dem gegen ihn wegen Mordversuchs verhandelt wurde, fünfundzwanzig Jahre alt. Er hat zunächst einige Stellen als Knecht gehabt und ist dann beim Dragoner-Regiment eingetreten, wo er es bis zum Unteroffizier brachte. Er ließ sich als solcher aber verschiedene Diebstähle zu schulden kommen, so daß er zu 7 Monaten Gefängnis, Degradation und Versetzung in die zweite Klasse des Soldatenstandes verurteilt wurde. Nach der Entlassung vom Militär trat er bei der Eisenbahn als Rottenarbeiter ein; auch in dieser Stellung setzte er seine Diebereien fort; aus einem Packwagen stahl er Butter, für 150 M Fleischwaren usw. Dafür erhielt er vor einiger Zeit 8 Monate Gefängnis. Zuletzt wohnte er in der Mühlenstraße. Dort stahl er seinem Logiskollegen 16 M. Von einer Anzeige sollte aber abgesehen werden, wenn Halle den Betrag bis zum 31. Dezember d. Js. zurückbezahlte. Am 28. Dezember geschah dann der Ueberfall, und wie bekannt ist, nahm man in der Bevölkerung damals allgemein an, Halle habe die Absicht gehabt, auf der Chaussee jemand zu erschießen und zu berauben . Darauf ist die Anklage auch aufgebaut. Der Techniker Barkemeyer, der in Oldenburg beschäftigt war, wollte wie an jedem Sonnabend auch am 28. Dezember seine in Kimmen wohnenden Eltern besuchen. Auf der Tweelbäker Chaussee beim 8,8 Kilometerstein sah er einen Mann im Gebüsch stehen; im nächsten Augenblick wurde ein Schuß auf ihn abgegeben, so daß er vom Rade stürzte. Er raffte sich auf und kam nach einigem Hin und Her zu dem an der Chaussee wohnenden Landmann Claußen. Verschiedene Umstände lenkten den Verdacht der Täterschaft auf den Eisenbahnarbeiter Halle, der dann in Haft genommen wurde.
Bei seiner Vernehmung gestern morgen vor dem Schwurgericht antwortete er auf die Frage des Vorsitzenden, ob er sich schuldig bekenne, mit einem entschiedenen „Nein". Auf die weitere Frage gab er Wohl zu dort gewesen zu sein, doch will er die Absicht gehabt haben, Hasen zu schießen. Es war um die Zeit Vollmond, doch war der Himmel bedeckt. Als Halle in einem Graben auf den Knien liegend auf Wild gewartet habe, sei plötzlich ein Geräusch an sein Ohr gedrungen . Er habe sich umgedreht und geschossen, ohne genau gesehen zu haben, was dort war. Er habe dann einen Laut gehört, und bald darauf habe er auch gesehen, daß sich dort ein Mensch aufhielt. Daß jemand vom Rade gestiegen oder gefallen sei, habe er nicht gesehen. Nach einiger Zeit will Halle dann nach Hanse gegangen und dort um 11 Uhr eingetroffen sein. — Auf Befragen des Vorsitzenden gab der Angeklagte genau den Platz an, wo er sich im Gebüsch aufgehalten habe. Man machte ihn darauf aufmerksam, daß vieles davon abhinge. Landgerichtsdirektor Bothe teilte dann weiter mit, daß ursprünglich gegen Halle Anklage wegen schwerer Körperverletzung erhoben und die Angelegenheit deshalb an das Landgericht gelangt sei. Dieses habe aber nicht geglaubt, daß die Angelegenheit damit erschöpft sei. Daraufhin sei Anklage wegen Mordversuchs erhoben worden, und somit habe sich das Schwurgericht damit zu befassen.
Zunächst wurden einige Zeugen dernommen, deren Aussagen dazu dienen sollten, ein
Bild von dem Charakter des Angeklagten
zu gewinnen. Im allgemeinen wurde Halle als sehr schlechter Charakter geschildert. Ein Gendarm hat die Aufgabe gehabt, die Verwandten des Halle bald nach der Tat zu vernehmen. Sie haben aber sämtlich die Aussage verweigert, und zwar deshalb, weil man Angst vor ihm hatte. Er war in der ganzen Gegend ein gefürchteter Mensch, und dabei ist er nur ein kleiner Kerl, der kaum über viel Körperkräfte verfügen dürfte. Er hat wenig Sympathisches an sich. Seine Aussagen lassen darauf schließen, daß man es mit einem schlauen, verschlagenen Menschen zu tun hat, der rücksichtslos bis zum äußersten sein kann.

In striktem Gegensätze zu seiner Aussage stand diejenige des Technikers Barkemeyer, der als Zeuge vernommen wurde. Er sagte aus, sein Rad sei damals
schadhaft gewesen und habe geklappert, so daß man das Kommen eines Radfahrers hören mußte. Etwa eineinhalb Meter vom Wege habe in den Tannen ein Mann gestanden, er habe sich noch nach ihm umgesehen, und plötzlich habe ein Schuß geknallt, der ihm in den Kopf gegangen fei. Kurze Zeit darauf sah er auf der Straße ein Licht, als ob jemand mit einer elektrischen Taschenlampe etwas suchte.
Dr. Wintermann, der den Zeugen behandelt hat, sagte über die Art der Verletzung aus; hervorzuheben ist daraus, daß sich jetzt noch etwa 30 Schrotkörner
in Barkemeyers Kops befinden. —
Nach Vernehmung einiger anderer Zeugen wurde die Verhandlung abgebrochen, und der Gerichtshof, die Geschworenen, einige Zeugen und der Angeklagte, unter scharfer Bewachung und an einen Gefangenwärter angeschlossen, fuhren in mehreren bereitstehenden Automobilen
zum Tatorte,
damit man ein klares Bild davon gewinne, ob es möglich sei, daß Halle von der Stelle, wo er sich in der fraglichen Nacht aufgehalten haben will, auf Barkemeyer geschossen hat. Der Eindruck war allgemein der, daß die Aussage Barkemeyers stimmte und die Behauptung Halles falsch war. Barkemeyer mußte sich aufs Rad setzen und genau wie damals die Strecke absahren, während einige Geschworene sich an beiden in Frage kommenden Punkten aufstellten, das Gewehr anlegten usw. Der Punkt, wo Barkemeyer geschossen worden ist, läßt sich deshalb noch genau feststellen, weil man den an der Stelle stehenden Baum, von dem einige Blätter abgeschossen waren, gezeichnet hat. Hätte Halle sich wirklich dort aufgehalten, wie er behauptet, dann hätte Barkemeyer ihn auch unmöglich sehen können.

Um 12 1/2 Uhr war der Lokaltermin beendet. Eine neue Sitzung im Gerichtssaale wurde auf 4 1/2 Uhr anberaumt.
Nachmittagssitzung.
Zunächst wurden einige Herren als Sachverständige vernommen, nämlich der dort tätige Holzwärter, der Jagdpächter und Oberförster Brauer. Sie wurden darüber befragt, ob es vernünftig sei, an der Stelle Hasen oder Rehe zu schießen, an der sich der Angeklagte aufgehalten haben will. Von allen drei Sachverständigen wurde die Frage verneint. Als Grund wurde einmal angegeben, daß sich dort fast gar kein Wild aufhalte und andererseits dort gar kein Schußziel vorhanden sei.
Wichtig war das Gutachten des Sachverständigen Major Deinert aus Berlin, des Direktors der Versuchsanstalt für Schußwaffen. Man hat in der Anstalt 56 Schuß mit demselben Gewehr und demselben Geschoß abgegeben, und diese Versuche haben ergeben, daß der Schuß unmöglich von der Stelle aus abgegeben sein kann, die von dem Angeklagten
angegeben wird; vielmehr sprächen die Angaben sehr bestimmt dafür , daß der Zeuge Barkemeyer recht habe — Oberförster Brauer schloß sich dem Gutachten an.
Der Vorsitzende machte den Angeklagten eindringlich darauf aufmerksam, daß das Gutachten der Sachverständigen dahin gehe, daß seine Aussage unmöglich richtig sein könne, und fragte ihn weiter, weshalb er die Unwahrheit sage und welchen Gmnd er dafür habe, weshalb er denn hartnäckig leugne und einen unrichtigen Platz angebe. Man müsse doch auf den Gedanken kommen, daß er an der Stelle, an der er wirklich gestanden habe, schlechte Absichten gehabt habe, und er gäbe nur deshalb einen falschen Platz an, um seine schlechten Absichten zu verbergen. — Angeklagter: Nein, das Hab ich nicht!
Hierauf wurde die Frau bei der er wohnte, und sein Logiskollege vernommen; dem letzteren hat er bekanntlich 16 Mk gestohlen. Zeuge sollte u. a. auch darüber aussagen, wie das Verhalten des Angeklagten beim Nachhausekommen gewesen sei. Er sagte aus, Halle sei zwischen 11:30 und 12 Uhr nach Hause gekommen, habe das Licht angezündet, aber sofort wieder gelöscht, dann habe er sich am Ofen zu schaffen gemacht, sei eine halbe Stunde aufgeregt auf und abgegangen und habe sich dann zu Bett gelegt. Zeuge habe die ganze Nacht nicht schlafen können, da der Angeklagte unruhig schlief, stöhnte und sich, auf dem Lager hin und her wälzte. — Angeklagter erwiderte: Nein, das ist nicht wahr! — Zeuge, ist das wahr? — Ja! — Angeklagter, Sie hören doch, was der Zeuge sagt. — Das ist nicht wahr!
Hierauf wurden die Schuldfragen verlesen.
Staatsanwalt Dr . Klusmann
führte aus, es habe seinerzeit, als der Überfall bekannt geworden sei, eine große Aufregung in der Bürgerschaft Platz gegriffen, und diese Aufregung sei auch in die Zeitung übergegangen. Täglich seien Artikel erschienen, und in einem derselben, wenn seine Erinnerung richtig sei, unter Stimmen aus dem Publikum, sei der Gedanke ausgesproochew
worden, es handle sich um den Fehlschuß eines Wildschützen. Der Angeklagte, der sich damals sehr für die Zeitung interessierte, habe den Gedanken aufgegriffen und benutze ihn
jetzt zu seiner Verteidigung. Diese Behauptung habe man aber mit der allergrößten Vorsicht aufzunehmen. Redner ging eingehend auf den Fall ein, verwies auf die bestimmten Bekundungen des Zeugen Barkemeyer und auf alle die übrigen Momente, die diese Aussage bekräftigen. Aus der Beweisaufnahme habe sich ergeben, daß der Angeklagte in den wichtigsten Punkten die Unwahrheit sagt. Er tue das, um glauben zu machen, er habe es auf Wilddieberei abgesehen gehabt. In Wirklichkeit habe er es auf die Börse des Zeugen abgesehen gehabt. Dafür spreche einmal die Tatsache, daß er die Landstraße, wie mehrere Zeugen bekunden, nach dem Schuß abgesucht habe, und zwar deshalb, weil er annahm, der angeschossene Barkemeyer würde irgendwo liegen, und er könne ihn so leicht berauben. Er brauchte Geld, da er seinem Logiskollegen 16 Mk gestohlen hatte, die er am 1. Januar zurückbezahlen sollte. Man habe von dem Charakter des Angeklagten ein schlechtes Bild, vor allem sei er ein hinterlistiger Mensch. So habe er beim Militär einmal einen Diebstahl verübt und einen anderen der Tat bezichtigt. Redner bat schließlich um Beantwortung der von ihm gestellten Schukdfragen.
Rechtsanwalt Möhring
bat die Geschworenen, all die Eindrücke, die sie aus der Erregung zur Zeit der Tat empfangen hätten, beiseite zu setzen und lediglich nach dem Ergebnisse der heutigen Verhandlung zu urteilen. Er setzt auseinander, daß man lediglich auf Kombinationen angewiesen sei, und daraufhin könne sich ein vorsichtiger Mann schwerlich ein Urteil bilden und über das Schicksal eines Menschen entscheiden. Jeder Beweis fehle dafür, was der Angeklagte in dem Fuhrenkamp gewollt habe. Es fehle au jeglichen objektiven Anhaltspunkten dafür, daß er einen Mord beabsichtigt habe. Die Tatsache, daß er kein Geld gehabt habe, sei doch kein Beweis dafür, daß er bereit gewesen sei, das schwerste Verbrechen aus sich zu laden. Man sei lediglich aus Vermutungen angewiesen. Eine solche Absicht müsse doch objektiv bewiesen werben. Redner bat, die Fragen nach vorsätzlichem Mord- oder Totschlagsversuchs zu verneinen, man möge höchstens die Frage nach vorsätzlicher oder sogar fahrlässiger Körperverletzung bejahen.
Der Staatsanwalt erwiderte kurz, ebenso der Verteidiger.
Der Angeklagte führte aus, wenn es ihm wirklich um Geld zu tun gewesen wäre, hätte er sich etwas von der Bahn auszahlen lassen können.
Der Vorsitzende erteilte den Geschworenen hieraus die Rechtsbelehrung, worauf sich diese zur Beratung zurückzogen.
Die Frage nach versuchten Mordes wurde verneint, diejenige nach versuchten schweren Straßenraubes bejaht.
Der Staatsanwalt beantragte eine Zuchthausstrafe von 10 Jahren.
Der Verteidiger bat, auf eine niedrigere Strafe zu erkennen.
Der Angeklagte bat ebenfalls um eine leichte Strafe.
Das Gericht schloß sich dem Anträge des Staatsanwalts an und verurteilte den Angeklagten zu 10 Jahren Zuchthaus und 10 Jahren Ehrverlust.
Die noch von ihm zu verbüßende Gefängnisstrafe wurde zu 3 Monaten Zuchthaus zusammengezogen, so daß die Gesamtstrafe 10 Jahre zwei Monate Zuchthaus beträgt.
Schluß der Verhandlung um 7 3/4 Uhr.
(1485)