Verordnung über die Schaffung eines Unternehmens „Deutsche Reichsbahn“
vom 12. Februar 1924.

Auf Grund des Ermächtigungsgesetzes vom 8. Dezenber 1923 (Reichsgesetzbl. I S, 1179) verordnet die Reichsregierung nach Anhörung der Ausschüsse, des Reichsrats und des Reichstags:

§ 1

Das Deutsche Reich schafft in Vollzug des Artikel 92 der Reichsverfassung unter der Bezeichnung „Deutsche Reichsbahn" ein selbständiges, eine juristische Person darstellendes wirtschaftliches Unternehmen, durch das die im Eigentume des Reichs stehenden Eisenbahnen betreibt und verwaltet.
Die Deutsche Reichsbahn ist nicht befugt, das Betriebsrecht ganz oder teilweise auf Dritte zu übertragen oder ihr Vermögen als Ganzes oder zu einem wesentlichen Teile auf Dritte zu veräußern.
Die rechtliche Gestalt des Unternehmens Deutsche Reichsbahn kann nur durch ein Reichsgesetz geändert werden; im Falle seiner Auflösung fällt das Vemögen des Unternehmens dem Reiche zu.

§ 2

Die Geschäfte des Unternehnmens Deutsche Reichsbahn werden bis zum Inkrafttreten des im § 10 Abs. 1 vorgefehenen Gesetzes unter Aufsicht- und Leitung des Reichsverkehrsmtinisters geführt.

§ 3

Das Unternehmen Deutfche Reichsbahn umfaßt die Reichseisenbahnen mit allem Zubehör und allen damit verbundenen Rechten und Plichten, einschließlich der Bodenseedampschiffahrt und der sonftigen Nebenbetriebe der Reichsbahnverwaltung.

Alle Froderungsrechte und Schulden des Reichs, die mit dem Reichseisenbahnunternemen verbunden sind, gehen auf die Deutsche Reichsbahn über. Für andere Verpflichtungen des Reichs Haftet das Unternehmen nicht. Der Eintritt der Deutschen Reichsbahn in die mit dem Reichseifenbahnunternehmnen verbundenen laufenden Verträge hat Rechtswirksamkeit auch gegenüber den bisherigen Vertragsgegnern des Reichs, für Verbindlichkeiten aus dem Staatsvertrag über den übergang der Staatseifenbahnen auf das Reich nebst Schlußprotokoll bleibt das Reich den Ländern verhaftet (vergleiche §10 Abs. 2). Die Länder können jedoch die Erfüllung dieser Verbindlichkeiten auch von dem Unternehmen fordern; ausgenommen sind die vom Reich übernommenen Länderschulden sowie die Schulden des Reichs an die Länder wegen des Restkaufgeldes. Das Unternehmen haftet für den Dienft dieser Schulden.

§ 4

Das Deutsche Reich bleibt Eigentümer der Reichseifenbahnen. Neue Bauten und Beschaffungen fallen in das Eigentium des Reichs. Die vorhandenen und die künftig erworbenen Geldbestände und Stoffvorräte werden jedoch Eigentum des Unternehmens. Das Unternehmen darf innerhalb der Grenzen einer ordnungsgemäßen Wirtschaft über das Eigentum und die Rechte des Reichs verfügen. Zu einer Veräußerung der Reichseisenbahnen im ganzen oder einzelner Strecken ist das Unternehmen nicht befugt.

Die im Eigentume des Deutschen Reichs stehenden Eisenbahnen Haften — unbeschadet der Bestimmungen im § 10 Abs. 2 — nur fiir Verpflichtungen aus der Verwaltung der Reichseisenbahnen, nicht für die übrigen Verpflichtunge bes Reichs.

Für seine mit dem Reichseisenbahnunternemen verbundenen Verpflichtungen haftet das Reich nur mit den in seinem Eigentume stehenden Eifenbahnen.

§ 5

Die Deutsche Reichsbahn kann bis zum Erlasse des im § 10 Abs. 1 vorgesehenen Gesetzes zur Deckung auserordentlichen Bedarfs, insbesondere auch für werbende Anlagen, auf da8 von ihr verwaltete Vermögen Kredite aufnehmen. Die Aufnahme von Krediten, die Bestellung von Sicherheiter und die Übernahme von Bürgschaften bedarf der vorherigen Verständigung mit dem Reichsminister der Finanzen.

§ 6

Die Verwaltung der Deutschen Reichsbahn ist unabhängig von des sonstigen Reichsverwaltung zu führen.

Die für die Reichsverwaltung bestehenden Gesetze und Verordnungen gelten als solchee für das Unternehmen Deutche Reichsbahn nicht. Der Inhalt Der Vorschriften ist aber so lange und so weit anzuwenden, als die Reichsregierung ihre Anwendung nicht aufhebt. über die Rechungsprüfung hat die Deutsche Reichsbahn mit dem Rechnungshof eine besondere Vereinbarung zu treffen, die dem Bedürfnis einer sachgemäßen Prüfung entsprechen muß.

Zu Steuerleistungen und sonstigen Abgaben ist das Unternehmen Deutsche Reichsbahn nicht in weiterem Umfang heranzuziehen, als die Reichseisenbahnverwaltung nach den jetzt geltenden Gesetzen der Besteuerung unterliegt.

§ 7

Soweit die Dienstbezüge der Beamten der Deutschen Reichsbahn nicht durch Reichsgesetze geregelt sind, dürfen sie im Vergleiche zu den Dienstbezügen gleichzubewertender Reichsbeamter nur dann günstiger geregelt werden, wenn diese günstigere Regelung zur Aufrechterhaltung eines geordneten und leistungsfahigen Betriebs oder Verkehrs notwendig ist. Das gleiche gilt, wenn die günstigere Regelung eine gedeilichen Fortentwicklung des Eisenbahnwesens zu fördern geeignet ist und der sich aus der günstigeren Regelung ergebende Vorteil die in anderer Hinsicht entstehenden oder zu exwartenden Nachteile überwiegt

Neue Vorschriften über Dienstbezüge der Beamten der Deutschen Reichsbahn sind, soweit sie nicht Reichgesetze sind oder eine reichsgesetzliche Regelung wiedergeben, dem Reichsminister der Finanze mitzuteilen. Der Reichsminister der Finanzen kann, soweit die Vorschriften nach seiner Auffassung eine qünstigere Regelung vorsehen, als nach Abs. 1 zulässig ist, spätestens binnen zwei Wochen nach der Mitteilung beim Reichsverkehrsminister Einspruch (§ 5 des Besoldungsgesetzes) erheben.

In Fällen plötzlicher Betriebsstockungen oder zeitlich, örtlich und hinsichtlich des Geldaufwandes begrenzter Vesuche können Anordnungen im Sinne des Abs. 1 auch ohne die vorherige Zustimmung des Reichsministers der Finanzen vorläufig in Kraft gesetzt werden. Sie sind unverzüglich dem Reichsminister der Finansen mitzuteilen und aufzubeben, wenn das Schiedsgericht (§ 7 Abs. 1 des Besoldungssperrgesetzes) sie auf dessen Antrag für unzulässig erklärt.

Im übrigen gelten entsprechend die §§ 2 Abs. 1, 6 bis 8, 10 Abs. 1, 11 Abs. 1 und 2, 12 und 13 des Gesetzes zur Sicherung einer einheitlichen Regelung der Beamtenbesoldung vom 21. Dezember 1920 — Reichsgesetzbl. S. 2117 — (Besoldungssperrgesetz).

§ 8

In den allgemeinen Haushalt des Reichs und auf die allgemeine Rechnung des Reichs ist der Reinüberschuß der Deutschen Reichsbahn und der Aufwand für den Dienft der zum Zwecke der Reichseisenbahnen aufgenommenen Reichsschulden aufzunehmen.

Die Deutsche Reichsbahn hat ihre Ausgaben selbst zu bestreiten.

§ 9

Bis zum Infrafttreten des im § 10 Abs. 1 vorgesehenen Gesetzes bleibt die Mitwirkung der Reichsregierung in folgenden Angelegenheiten vorbehalten:

  1. Feststellung des Voranschlags, Aufstellung der Bilanz und Entlastung der Verwaltung bezüglich der Jahresrechnung,
  2. Änderung der Sätze der Normaltarife,
  3. Kündigung und grundsätzliche Änderungen der Lohntarife für Angestellte und Arbeiter.

Die Rechsregierung kann diese Mitwirkung einem mit ihrer Zustimmung zu bildenden Verwaltungsrat übertragen. Der Reichsverkehrsminister isf verpflichtet, der Reichsregierung sowie dem Reichstag über die Angelegerheiten des Unternehmens Auskunft zu geben.

Die Reichsregierung beschließt über die Genehmigung der Bilanz und der Gewinn- und Verlusstrechnung. 

Die Reichsregierung hat dem Reichstag und dem Reichsrat zu der Beratung über den Reichshaushalt, den Jahresbericht der Deutschen Reichsbahn nebst Gewinn- und Verlustrechnung und Bilanz mit den Prüfungsbemerkungen vorzuleqen.

§ 10

Die Vorschriften der §§ 1 bis 9 gelten bis zum Erlaß eines Gesetzes über die Deutsche Reichsbahn.

Das Reichsgesetz vom 30. April 1920, betreffend des Staatsvertrag über den Übergang der Staatseisenbahnen auf daß Reich (Reichsgesetzbl. S. 775), und sie Bestimmungen des am 28. Juni 1919 in Versailles unterzeichneten Vertrags (Reichsgesetzbl. S. 687) werden durch diese Verordnung nicht berührt.

Berlin, 12. Februar 1924

Der Reichskanzler

Marx

Der Reichsverkehrsminister

Oeser