Mord an Dorothea "Dora" Perske
am 21. Dezember 1927 in Berlin
Am 21. Dezember 1927 wurde Dora Perske scheinbar tot gegen 10:30 im Vorortzug von Stansdorf im Bahnhof Friedrichshagen aufgefunden.
Ich wurde auf diesen Fall durch die Sendung XY history - Ernst Gennat, der erste Mordkommissar aufmerksam. Da über das Schicksal des Täters nichts mitgeteilt wurde, war meine Neugierde geweckt. In der Sendung wurden einige Ungereimtheiten/Fehler/Fehldarstellung erkennbar und da ich die sehr oberflächliche Arbeitsweise des ZDF bzw. seiner Auftragnehmer seit meiner Schulzeit kenne, stieg ich tiefer in die Thematik ein.
Die Presseberichte aus der Zeit
Vorwärts, Abendausgabe - 21. Dezember 1927
Raubüberfall im Vorortzug.
Eine Frau niedergeschlagen und schwer verletzt.
Ein schweres Verbrechen wurde heute Mittag in dem Vorortzug Erkner- Grunewald verübt.
In einem Abteil 2. Klasse wurde um 12 Uhr auf der Station Friedrichshagen von hinzusteigenden Fahrgästen eine etwa 25-30 Jahre alte, bessergekleidete Frau mit schweren Kopf und Gesichtsverletzungen am Boden liegend bewußtlos aufgefunden. Die Schwerverletzte wurde in das Köpenicker Kreiskrankenhaus übergeführt, wo sie bedenklich danieder liegt. Da die Ueberfallene keine Handtasche oder sonstigen Wertsachen bei sich führte, wird angenommen, daß der oder die unbekannt entkommenen Täter damit das Weite gesucht haben. Die Kriminalpolizei hat sofort die Ermittlungen aufgenommen.
Es besteht auch die Möglichkeit, daß die Ueberfallene das Opfer eines Sittlichkeitsattentates geworden ist. Jedenfalls lassen Spuren in dem Wagenabteil erkennen, daß zwischen dem Täter und seinem Opfer, das nicht einmal die Notbremse ziehen konnte, ein heftiger Kampf stattgefunden haben muß.
Wie wir bei Schluß des Blattes erfahren, soll es sich bei der Ueberfallenen um ein Fräulein Perska aus Berlin handeln.
Vorwärts, Morgenausgabe - 22. Dezember 1927
Das Verbrechen im Vorortzug.
Die Ueberfallene in Lebensgefahr.
Wie wir bereite im gestrigen Abendblatt berichten konnten, hat sich in den Vormittagsstunden des Mittwoch wieder ein Raubüberfall im Vorortzug auf einen weiblichen Fahrgast ereignet. Die Ueberfallene, eine 20jährige Dora P e r s k e aus der Bayerischen Str. 30, liegt in sehr bedenklichem Zustande im Köpenicker Kreiskrankenhaus noch immer bewußtlos danieder. Zu diesem noch rätselhaften Vorfall erfahren wir folgende Einzelheiten: Fräulein Perske, die ihren Onkel in Hessenwinkel besuchen wollte, verließ am Mittwochvormittag um 8 1/4 Uhr die elterliche Wohnung und fuhr zum Bahnhof Zoo. Hier bestieg sie den V o r o r t z u g 3260, der um 8 Uhr 44 den Bahnhof Stahnsdorf verlassen hatte, kurz nach 9 1/2 Uhr den Zoo passiert und um 10 Uhr 27 in Friedrichshagen eintrifft. Das junge Mädchen hatte in einem Abteil 2. Klasse des Wagens Nr. 64 120 gleich hinter der Maschine Platz genommen. Der Zug lief fahrplanmäßig in Friedrichshagen ein, wurde dort umrangiert und zur Rückfahrt nach Stahnsdorf, die um 11 Uhr 55 angetreten werden sollte, fertiggemacht. Eine Frau aus Friedrichshagen öffnete zufällig die Tür des Abteils 2. Klasse und fuhr entsetzt zurück. Auf dem Fußboden des Coupés sah sie eine weibliche Person regungslos und schwer röchelnd daliegen. Die Reisende alarmierte sofort das Bahnhofspersonal und dieses wieder die Kriminalpolizei. Dora Perske, die noch Lebenszeichen von sich gab, wurde in das Krankenhaus gebracht. Hier stellten die Aerzte klaffende Wunden an der linken S c h ä d e l s e i t e fest, die von einem Schlag herrühren müssen. In dem Abteil, in dem die Verletzte gefunden wurde, lagen, zum Teil auf dem Sitzpolster, zum Teil auf dem Fußboden verstreut einige Pakete und eine Handtasche. Da das Mädchen noch ohne Besinnung liegt und nicht vernommen werden kann, so ist es noch nicht möglich gewesen, zu erfahren, woher sie die furchtbaren Verletzungen hat. Die Möglichkeit eines Unfalls ist natürlich bei der ganzen rätselhaften Angelegenheit nicht von der Hand zu weisen.
Vorwärts, Abendausgabe - 23. Dezember 1927
Wer ist der Täter?
Noch keine Aufklärung des Verbrechens im Vorortzug.
Das Verbrechen im Vorortzug ist trotz der unausgesetzten Nachforschungen, die Kriminalrat Gennat und Kommissar Pippe mit ihren Beamten weiter betrieben, immer noch nicht aufgeklärt. Für die Täterschaft hat sich noch kein Anhalt gefunden. Der Zustand des überfallenen Mädchens ist immer noch sehr bedenklich. Die Schwerverletzte liegt noch ohne Besinnung und steht im Köpenicker Krankenhause unter ständiger ärztlicher Beobachtung. Es scheint, daß Dora Perske auf dem Bahnhof Zoo allein in das Abteil eingestiegen ist. Bisher hat sich aber noch niemand gemeldet, der sie dort bei der Abfahrt oder später gesehen hat. Verhängnisvoll ist wohl der Umstand geworden, daß die Verunglückte nach dem Ueberfall noch eine halbe Stunde hilflos dagelegen hat. Dora Perske hat eine mittelgroße Gestalt, ein frisches, rundes Gesicht und trug einen dunkelblauen Filztopfhut mit Ripsbandgarnierung und einen dunkelbraunen Tuchmantel mit breitem Opossumschulterkragen und breiten Aermelaufschlägen aus gleichem Pelz. Auch der Muff ist aus Opossumfellen zusammengesetzt. Unter Hinweis auf die Belohnung von 2000 Mark werden alle, die zur Aufklärung beitragen können, dringend gebeten, sich im Zimmer 104 des Polizeipräsidiums zu melden. Es kommt jetzt sehr darauf an, ob sich Fahrgäste des jungen Mädchens und anderer in demselben Abteil befindlicher Fahrgäste entsinnen.
Vorwärts, Morgenausgabe - 25. Dezember 1927
Dora Perske ihren Wunden erlegen.
Das beklagenswerte Opfer des am Sonnabend festgenommenen und überführten Raubmörders Horst Kieback. Dora Perske, ist in den Nachmittagsstunden des heiligen Abends trotz der Bemühungen der Aerzte ihren schweren Verletzungen erlegen. Sie hat das Bewußtsein nicht mehr wiedererlangt.
Jeversches Wochenblatt - Dienstag, 27. Dezember 1927
Das Verbrechen im Stadtbahnzug aufgeklärt. Der Täter verhaftet. T.-U. Berlin,
Der Kriminalpolizei ist es gelungen, den Mordanschlag auf die 21 Jahre alte Dora Perske im Stadtbahnzug rasch aufzuklären.
Der Täter, ein 21jähriger früherer Schlosser mit Namen Horst Kiebsch, ist verhaftet worden und hat bereits ein Geständnis abgelegt.
Coburger Zeitung - Donnerstag, 29. Dezember 1927
Das Schuldkonto des Mörders Kiebach.
Die Untersuchung gegen den jugendlichen Raubmörder Kiebach, der im Stadtbahnzug die 20jährige Dora Perske mit einer eisernen Elle niedergeschlagen und beraubt hatte, hat ergeben, daß der Täter noch an anderen Stellen gleiche Verbrechen verüben wollte. Wie Berliner Blätter mitteilen, hat er einen Kaufmann in dessen Büro mit der eisernen Elle niederschlagen und berauben wollen und war nur im letzten Augenblick durch das Mißtrauen des Kaufmanns, der ihn fragte, was er mit der Elle wolle, daran gehindert worden.
Vorwärts, Morgenausgabe – 4. Januar 1928
Zum Raubüberfall im Stadtbahnzug.
Der böse Geist der Familie.
Gegen den Eisenbahnattentäter Horst Kiebach, dessen Opfer Dora Berste am Silvester beerdigt worden ist, hat Staatsanwaltschaftsrat Dr. Ortmann die Eröffnung der Voruntersuchung wegen Raubmordes beim Landgericht II beantragt. Horst Kiebach hat auf Veranlassung von Kriminalrat Gennat inzwischen seinen Lebenslauf verfaßt, der, ungeachtet seiner Jugend, schon eine Reihe von Vorstrafen aufweist.
Der jugendliche Attentäter bezeichnet als den bösen Geist feiner Familie, der auch mittelbar Anlaß zu seiner Bluttat gegeben hat, die kurz vor Weihnachten zu 4½ Jahren Zuchthaus verurteilte Meineidsfabrikantin Frau Ohlerich. Bekanntlich gehörte die ganze Familie Kiebach zu den falschen Schwurzeugen dieser gefährlichen Frau, und Vater, Mutter, Schwester und Horst Kiebach traten vor dem Schwurgericht als Zeugen auf. Während die Mutter und die Schwester schließlich ein Geständnis ablegten, zu falschem Zeugnis angestiftet worden zu sein, hatten der alte Präparator Kiebach und sein Sohn Horst bis zum Schluß hartnäckig an ihren früheren Eiben festgehalten. Infolge dieses Prozesses wollte sich die Braut von Horst Kiebach, eine 19jährige Stenotypistin, von ihm lossagen. Um sie weiter an sich zu fesseln, hatte er ihr zu Weihnachten große Geschenke in Ausficht gestellt, indem er ihr vorerzählt, daß er große Geschäfte gemacht habe. Die Mittel für die versprochenen Geschenke beabsichtigte er sich durch Raubüberfälle in der Stadtbahn zu verschaffen. Interessant ist, daß Horst Kiebach die zu der Bluttat verwendete Eisenschiene ursprünglich für den verstorbenen Eisenkönig Breitbart bestimmt hatte. Dieser ließ sich bei seinen Vorführungen aus dem Publikum Eisenstücke reichen, die er dann bog. Horst Kiebach, der damals als Schlosser arbeitete, hatte sich zu diesem Zwecke die Eisenschiene angefertigt. Breitbart konnte sie aber nicht verwenden, weil sie scharfkantig war. Das Eisenstück lag in der Wohnung herum und kurz vor dem Attentat im Stadtbahnzug äußerte ein Bekannter bei einer Besichtigung der Schiene, daß man damit leicht jemandem eins über den Kopf hauen könnte: Dadurch will Horst KKiebach auf die Idee gekommen sein, die dreikantige Eisenschiene als Raubinstrument zu verwenden. Horst Kiebach, der von Rechtsanwalt Dr. Sidney Mendel verteidigt wird, wird in den nächsten Tagen dem Untersuchungsrichter zur ersten verantwortlichen Vernehmung vorgeführt werden. Voraussichtlich wird er sich schon im Februar vor dem Schwurgericht II zu verantworten haben.
Fürstenfelder Zeitung, Donnerstag, 5. Januar 1928
Neudeutsche Romantik
Der Raubüberfall im Stadtbahnzug
Berlin. 3. Jan. Gegen den Urheber des Raubüberfalls im Stadtbahnzug Horst Kiebach, dessen Opfer, Dora Perske, am Silvester beerdigt worden ist, ist nunmehr die Eröffnung der Voruntersuchung wegen Raubmordes beantragt worden. Horst Kiebach gehörte übrigens auch zu dem Bekanntenkreis der Frau Ohlerich, die in einem sensationellen Prozeß kurz vor Weihnachten zu 4 1/2 Jahren Zuchthaus verurteilt worden ist, weil sie ihre Bekannten zu einer ganzen Kette falscher Zeugenaussagen veranlaßt hatte. Kiebach, der in dieser Angelegenheit zusammen mit seinem Vater, seiner Mutter und seiner Schwester vor Gericht stand, hatte sich gemeinsam mit seinem Vater bis zum Schluss des Prozesses hartnäckig geweigert, ein Geständnis abzulegen. Infolge dieses Prozesses hatte seine Braut sich von ihm trennen wollen. Nach seinen Angaben sollte ihm der Raubüberfall die Mittel verschaffen, um durch große Weihnachtsgeschenke seine Braut wieder zu versöhnen.
Vorwärts, Abendausgabe – 19. Januar 1928
Der Mord an Dora Perske.
Vernehmung des Mörders im Eisenbahnwagen.
Der 25jährige Präparator Horst Kiebach, gegen den nunmehr gemäß dem Antrag von Staatsanwaltschaftsrat Dr. Ortmann die Voruntersuchung wegen Raubmordes an der 20jährigen Schlächtermeistertochter Dora Perske eröffnet morden ist, ist heute zum ersten mal dem Untersuchungsrichter, Landgerichtsrat Dr. Birnbach, vorgeführt worden. Diese erste verantwortliche Vernehmung des Angeschuldigten fand jedoch nicht in dem Dienstzimmer des Untersuchungsrichters im neuen Kriminalgerichtsgebäude in der Turmstraße statt, sondern an dem Tatort, in dem Stadtbahnwagen zweiter Klaffe, in dem die Bluttat verübt worden ist.
Der Eisenbahnwagen ist noch von der Staatsanwaltschaft beschlagnahmt und befindet sich gegenwärtig auf dem Abstellbahnhof Grunewald. Dorthin wurde Kiebach heute mittag aus dem Stadtvogteigefängnis transportiert. Im Eisenbahnwagen selbst wird gleich ein gerichtliches Protokoll über die verantwortliche Vernehmung des Angeschuldigten aufgenommen werden. Nach den bisher abgelegten freiwilligen Geständnissen Kiebachs stellt sich die Bluttat als ein mit voller Ueberlegung ausgeführtes Kapitalverbrechen dar, und die Vorgänge sind noch grauenhafter, als bisher bekanntgeworden ist. Wie man weiß, hatte sich Kiebach schon seit Tagen vorher mit dem Gedanken eines Raubüberfalles unter Anwendung der dreikantigen scharfen Elfenschiene getragen, um sich Geldmittel zu einem Weihnachtsgeschenk für seine Braut zu verschaffen. Er war an mehreren Abenden in Begleitung eines Freundes auf der Suche nach einem geeigneten Opfer im Tiergarten herumgestreift, ohne aber zu einer Ausführung zu kommen. Am Morgen des verhängnisvollen Tages steckte er sich in der elterlichen Wohnung die Eisenschiene wieder ein. Seine Mutter, die wohl ahnte, daß er damit ein Verbrechen begehen wollte, nahm sie ihm jedoch weg. Kiebach gelang es dann aber, die Schiene wieder unbemerkt an sich zu nehmen. Auf dem Schlesischen Bahnhof seinem Opfer gegenüber. Zunächst hatte er immer nach Gewissensbedenken, er in das Eisenbahnabteil zweiter Klaffe ein und setzte sich feinem eine so schwere Bluttat auszuführen. Auf der nächsten Station stieg noch ein Fahrgast ein, so daß der Plan vereitelt schien. In Karlshorst jedoch verließ der neue Fahrgast den Zug, und Kiebach war mit seinem Opfer von neuem allein. Noch immer zögerte er. Dann nahm das ihm gegenübersitzende junge Mädchen ihren Handspiegel aus der Tasche heraus. Hierbei bemerkte Kiebach, dass aus dem Geldtäschchen, das ebenfalls in der Handtasche war, ein Geldschein aus der Tasche herauslugte. Der Anblick des Gelbes beseitigte alle bisherigen Hemmungen. Kiebach versetzte seinem Opfer einen wuchtigen Schlag mit seiner Eisenschiene über den Kopf, so daß das Blut herausströmte. Aufschreiend stürzte das junge Mädchen in ein Nebenabteil, weil sie hoffte, dort Hilfe zu finden. Der Räuber stürzte ihr aber nach. Mit erhobenen Händen flehte Dora Perske um Erbarmen. Ungerührt davon schlug Kiebach mit der Eisenschiene, die er inzwischen aus der Umhüllung herausgerissen hatte, auf den Kopf des unglücklichen Mädchens so lange ein, bis er glaubte, daß kein Leben mehr in seinem Opfer sei.
Auf der nächsten Haltestelle verließ er mit dem Geldtäschchen den Zug und fuhr mit einem zur Abfahrt bereitstehenden Zug auf dem anderen Bahnsteig nach Karlshorst. Von dort ging er zu Fuß über die Felder bis zu einer Straßenbahn, mit der er in die Stadt hineinfuhr. Die blutbefleckten Handschuhe und die Eisenschiene gab er später feinem Freunde in Verwahrung, und das wurde ihm bekanntlich zum Verhängnis. Aus den von Kiebach vor der Tat angestellten Erwägungen folgert die Staatsanwaltschaft, daß der Mord mit voller Ueberlegung ausgeführt morden ist.
Vorwärts, Morgenausgabe – 20. Januar 1928
Der Mord im Vorortzug.
Lokaltermin im Eisenbahnwagen.
Gestern nachmittag fand um 1 Uhr auf dem Abstellbahnhof Grunewald der Lokaltermin wegen der Ermordung der Dora Perske statt. Der Verbrecher Horst Kiebach war mit Handfesseln, begleitet von zwei Kriminalbeamten, in einem Polizeiauto aus dem Stadtvogteigefängnis hinausgebracht worden. Reichsbahnoberinspektor Held nahm die Gerichtskommission in Empfang und führte sie zu dem Eisenbahnwagen 2. Klaffe, der hier sichergestellt worden ist. Die beiden in Frage kommenden Abteile zeigen noch die Spuren der Tat. Die Polster, die Wände über den Polstern und die Fenster sind mit Blutspritzern bedeckt. In dem einen Abteil sind mehrere große getrocknete Blutlachen vorhanden. Die Stelle, an der die schwerverletzte Dora Perske in bewußtlosem Zustande mit zerschmettertem Schädel aufgefunden wurde, war durch Kreidestriche aufgezeichnet.
Horst Kiebach blieb an dem Ort seiner schweren Bluttat völlig unbewegt. Er ist erst 20 Jahre alt und macht einen sehr intelligenten Eindruck. Dem schlanken, blondlockigen jungen Mann mit nicht unsympathischen Zügen würde niemand eine so schwere Tat zu trauen. In voller Ruhe schilderte er in allen Einzelheiten, wie sich die Tat abgespielt hatte. Kriminalassistent Wermte mußte sich auf den Platz setzen, den Dora Perske innegehabt hatte, und Horst Kiebach setzte sich ihm gegenüber auf den anderen Fensterplatz. Er bekam dann, nachdem er entfesselt worden war, das Mordinstrument, die scharfkantige Eisenschiene, in die Hand und mußte vormachen, wie er den ersten Schlag ausgeführt hatte. Dabei wies er den Beamten an, daß er den Kopf etwas mehr herunterbeugen müsse. Dieser Schlag hatte fein Opfer auf die linke Kopfseite getroffen und den Hut durchschlagen. Kiebach machte dem Untersuchungsrichter auch vor, wie Dora Perske flehentlich die Hände hochgehoben habe. Da sie fürchterlich schrie, habe er sich veranlaßt gesehen, nochmals zuzuschlagen. Sie sprang dann auf und eilte in das Nebenabteil. Auf eine Frage von Rechtsanwalt Dr. Mendel erklärte Kiebach, daß er nicht den Eindruck gehabt habe, als ob das Mädchen in dem Nebenabteil die Notbremse ziehen wollte. Sie hätte die Notbremse auch gar nicht erreichen können, da sie zu hoch an der Decke angebracht sei. Als Kiebach seinem Opfer nacheilte, habe er, um sie zum Schweigen zu bringen, so lange auf sie eingeschlagen, bis sie zu Boden fiel. Vorher habe Dora Perske ihn nochmal mit erhobenen Händen gebeten, ihr Lehen zu schonen. Er habe aber blindlings darauf Iosgeschlagen, bis sie still und leblos am Boden lag, denn er habe verhindern wollen, daß er durch ihr Schreien verraten werde. Beim Verlassen des Zuges auf dem Bahnhof Friedrichshagen habe er noch nicht das Bewußtsein gehabt, daß er sein Opfer getötet habe. Der Gegenzug nach Berlin, in dem er wieder ein leeres Abteil aufgesucht hatte, hätte noch 10 Minuten bis zur Abfahrt gehalten. Von der Absicht, an Ort und Stelle ein Gerichtsprotokoll über die erste richterliche Vernehmung des des Raubmordes beschuldigten Horst Kiebach vorzunehmen, nahm Untersuchungsrichter Dr. Birnbach, der zu diesem Zweck die Protokollführerin mitgebracht hatte, wegen der ungünstigen Schreibgelegenheit Abstand. Kiebach wurde wieder gefesselt und unter sicherer Bewachung im Auto nach dem Kriminalgericht in Moabit gebracht, dort wurde das Protokoll aufgenommen. Alsdann wurde Kiebach in das Untersuchungsgefängnis Moabit als Untersuchungsgefangener eingeliefert.
Vorwärts, Morgenausgabe – 29. Januar 1928
Raubmörder Kiebach geisteskrank?
Der Raubmörder Horst Kiebach, der sich seit dem Lokaltermin im Untersuchungsgefängnis befindet, ist bereits eingehend vom Untersuchungsrichter vernommen worden. Die gegen ihn wegen des Raubmordes im Eisenbahnzuge geführte Voruntersuchung würde auch bereits abgeschlossen worden sein, wenn nicht R.-A Dr. Sidney Mendel mit Rücksicht auf die von dem zwanzigjährigen Schwerverbrecher bezeigte völlige Gefühlskälte gegenüber den Folgen feiner Tat und der Gleichgültigkeit gegenüber dem seiner harrenden Schicksal eine Untersuchung auf den Geisteszustand angeregt hätte. Diesem Antrage hat Landgerichtsrat Dr. Birnbach stattgegeben und Medizinalrat Dr. Drensteinfurt mit der Beobachtung Kiebachs beauftragt.
Vorwärts, Morgenausgabe – 4. März 1928
Voruntersuchung gegen Kiebach geschlossen.
Des Raubmordes angeklagt.
Die Voruntersuchung gegen den 20jährigen Präparator Horst Kiebach, der in der Weihnachtswoche im Stadtbahnzug zwischen Friedrichshagen und Erkner die Schlächtermeisterstochter Dora Perske ermordet hat, ist vor einigen Tagen abgeschlossen worden Das Gutachten geht dem Vernehmen nach dahin, daß der jugendliche Verbrecher für seine schwere Tat voll verantwortlich ist. Die Akten sind nunmehr an Staatsanwaltschaftsrat Ortmann weitergegeben worden und dieser wird Anklage wegen Raubmordes gegen Kiebach erheben. Kiebach wird sich etwa im Mai wegen dieses Kapitalverbrechens vor dem Schwurgericht des Landgerichts II zu verantworten haben.
Vorwärts, Morgenausgabe – 16. März 1928
Um die Braut an sich zu fesseln.
Ein Diebstahl Horst Kiebachs.
Durch die Voruntersuchung gegen den Präparator Horst Kiebach wegen des Raubmordes an der jungen Dora Perske im Stadtbahnzuge sind noch weitere Straftaten Kiebachs herausgekommen. Es hat sich ergeben, daß er kurz vorher einen schweren Diebstahl begangen hat. Gegen Kiebach ist jetzt von der Staatsanwaltschaft III eine Anklage wegen Diebstahls im Rückfalle erhoben worden. Kiebach hat einer Verkäuferin, mit der er früher befreundet gewesen war, eines Tages einen Besuch abgestattet und ihr bei dieser Gelegenheit eine goldene Armbanduhr und Geld gestohlen. Die Armbanduhr ließ er mit dem Namenszug seiner Braut Elly versehen und schenkte sie ihr angeblich als neugekauft. Die Tat hat Kiebach eingestanden. Er behauptet, daß er den Diebstahl verübt habe, um seine Braut durch Geschenke an sich zu fesseln. Dasselbe Motiv hat er auch für seinen Raubmord angegeben. Die Diebstahlsanklage wird demnächst vor dem Schöffengericht Charlottenburg zur Verhandlung gelangen. Die Anklage wegen des Raubmordes konnte von Staatsanwaltschaftsrat Dr. Ortmann bisher noch nicht erhoben werden, weil Medizinalrat Dr. Dyrenburth sein gerichtsärztliches Gutachten über den Geisteszustand Kiebachs noch nicht fertiggestellt hat. Die von Rechtsanwalt Dr. S. Mendel veranlaßte Untersuchung Kiebachs ist zu dem Ergebnis gelangt, daß bei Kiebach keine Spur von Geisteskrankheit vorhanden ist, so daß er für seine Taten voll verantwortlich zu machen ist.
Vorwärts, Morgenausgabe – 10. Mai 1928
Ein Antrag des Raubmörders Kiebach.
Er will aus der Saft entlassen werden...
Einen Antrag auf Haftentlassung hat der 21jährige Präparator Horst Kiebach an die Strafkammer des Landgerichts II gerichtet. Obwohl gegen Kiebach bereits Anklage wegen Raubmordes, begangen an der jungen Schlächtermeisterstochter Dora Perske im Stadtbahnzuge, erhoben worden ist und obwohl er die Tat eingestanden hat, so daß auf das Kapitalverbrechen Todesstrafe zugesprochen wird, hat er seine Haftentlassung gefordert. Vor einiger Zeit war von der Strafkammer der gesetzlich vorgeschriebene Haftprüfungstermin anberaumt gewesen, der aber wegen seiner Aussichtslosigkeit auf Antrag von Rechtsanwalt Dr. Sidney Mendel abgesetzt worden war. Der Angeklagte war damit nicht zufrieden und hat jetzt selbst die Haftprüfung beantragt, unterstützt wurde er dabei von seinem Vater, der die Freilassung seines Sohnes damit begründete, daß er ihn in seinem Geschäft brauche, da er zahlreiche Aufträge von Museen, Tiere zu präparieren, erhalten habe und die Arbeit allein nicht bewältigen könne. Selbstverständlich hat das Gericht diese Anträge rundweg abgewiesen. In einem schriftlichen Beschluß wird dem Raubmörder begreiflich gemacht, daß eine Aufhebung des Haftbefehls nicht in Frage kommen könne, da er für das nach feinem eigenen Geständnis begangene Kapitalverbrechen nach seinem eigenen Geständnis begangene Kapitalverbrechen schwerste Strafe zu erwarten habe.
Der Abend – 23. Mai 1928
Der Mord im Eisenbahnabteil.
Am 4. Juni wird sich vor dem Landgericht II der 21jährige Präparator Horst Kiebach wegen Mordes in Tateinheit mit Straßenraub unter Todeserfolg zu verantworten haben. Sein Vergehen hat seinerzeit durch die Persönlichkeit des Täters und die Grausamkeit der Tat großes Aufsehen erregt.
Am 21. Dezember bot sich einer Frau Dr. W. beim Betreten eines Eisenbahnabteils in Friedrichshagen ein gräßlicher Anblick: auf dem Boden des Abteils lag in einer großen Blutlache mit zertrümmerter Schädeldecke eine Frau. Die Obduktion ergab, daß die Schädelverletzung mit einem kantigen Eisenstück verursacht war. Die Schwerverletzte war die Tochter eines Wilmersdorfer Schlächtermeisters. Aus ihrer Handtasche, die neben der Verletzten gefunden worden war, fehlte das Geld. Die Beraubte verstarb drei Tage später im Krankenhaus.
Kurz darauf verhaftete die Polizei in der Nähe des Asyls für Obdachlose zwei junge Leute, einen Gelegenheitsarbeiter B. und den Präparator Horst Kiebach. Bei diesem fand man eine in Papier gewickelte, etwa 40 Zentimeter lange dreikantige Eisenstange. B., ins Verhör genommen, bekundete, daß Kiebach ihm am 21. Dezember ein Oberhemd, Taschentücher und noch einige andere Sachen zur Aufbewahrung übergeben habe. Bei dieser Gelegenheit habe er ihm auch erzählt, daß er im Vorortzug kein Schwein gehabt habe, daß er aber
dem Aas tüchtig eins über den Kopf gegeben
habe. Als sie dann in der Zeitung von dem Verbrechen im Eisenbahnabteil lasen, habe Kiebach hinzugefügt, das Opfer würde ihn nicht erkennen, da er sofort kräftig zugeschlagen habe.
Als Kiebach nun vernommen wurde, legte er ganz unvermittelt ein Geständnis ab, ohne noch nach seiner Täterschaft gefragt worden zu sein. Er schilderte stockend seine Tat und brachte die Einzelheiten ausführlich zu Papier. Seine Schilderung begann mit den Worten: Ich bekenne mich reumütig zu meiner Tat. Als Motiv gab er an, daß er durch den Prozeß der Meineidsfabrik Frau Oellrich, in den sowohl seine Mutter als auch seine Schwester verwickelt sind, zum ersten Male erfahren habe, daß sein Vater ein neunfach vorbestrafter Mensch sei. Deshalb habe er gefürchtet, seine Braut könnte dies erfahren und sich von ihm lossagen, und er habe nun beschlossen, ihr, um sie an sich zu fesseln, zu Weihnachten ein Geschenk zu machen. Dazu habe ihm jedoch das Geld gefehlt. So sei ihm der Gedanke gekommen,
irgendeine Tat zu begehen.
Als er im Eisenbahnabteil im Täschchen der Schlächtermeisterstochter Geld erblickt habe, habe er auch mit aller Wucht sofort auf sie zu geschlagen. Nachdem er das Eisenbahnabteil verlassen hatte, ließ er sich beim Friseur rasieren, speiste in einem Restaurant und verbrachte die Nacht mit einer Prostituierten.
Den Vorsitz in der Gerichtsverhandlung führt Landgerichtsdirektor Peltasson, der an die Stelle des Landgerichtsdirektors Duft getreten ist. Die Anklage vertritt Staatsanwaltschaftsrat Ortmann, die Verteidigung liegt in den Händen des Rechtsanwalts Dr. Mendel. Für die Verhandlung sind drei Tage vorgesehen. Neben fünf Sachverständigen sind 31 Zeugen geladen, auch die Mutter und die Schwestern des Angeklagten.
Vorwärts, Morgenausgabe – 25. Mai 1928
Horst Kiebachs Anträge
Er möchte als Präparator arbeiten.
Der Präparator Horst Kiebach, der sich demnächst wegen des an der 20jährigen Dora Perske im Stadtbahnzug verübten Raubmordes zu verantworten haben wird, hat wieder einmal einen merkwürdigen, in diesem Falle besonders eigenartig anmutenden Antrag an das Gericht gestellt.
Er hat verlangt, daß er im Untersuchungsgefängnis seinem Beruf entsprechend sich beschäftigen dürfe und daß ihm deshalb gestattet werden möge, für seinen Vater Tierkadaver und menschliche Leichenteile zu präparieren. Früher hatte er schon einmal beantragt, zur Unterstützung seines Vaters aus der Haft entlassen zu werden, was natürlich ohne weiteres abgelehnt wurde. Sein Vater präpariert Tierkadaver für Museen und aus der Anatomie gelieferte menschliche Leichenteile für Universitätsinstitute. Die Strafkammer des Landgerichts II hat den neuen Antrag des 20jährigen Raubmörders wiederum abgelehnt; in der von Landgerichtsdirektor Dr. Linde gegebenen Begründung dieses Beschlusses heißt es, daß ein Untersuchungsgefangener an sich Anspruch auf eine seinem Beruf entsprechende Beschäftigung habe. Diese Forderung dürfe aber nur im Rahmen der Gefängnisordnung sich bewegen. Durch das Präparieren von Leichenteilen und Kadaver würde aber eine Belästigung der übrigen Gefängnisinsassen und der Beamten entstehen. Die für den 6. Juni angesetzte Hauptverhandlung in dem Raubmordprozeß gegen Horst Kiebach ist auf Antrag von Rechtsanwalt Dr. Sidney Mendel, der an diesem Tage bei einem auswärtigen Gericht zu verteidigen hat, aufgehoben worden. Auch der gerichtliche Sachverständige Medizinalrat Dr. Dyrenfurth, der dem Gericht ein Gutachten über den Geisteszustand Kiebachs erstatten muß, ist an diesem Tage verhindert. Die neue Hauptverhandlung gegen Kiebach wird nunmehr in der am 2. Juli beginnenden neuen Schwurgerichtsperiode des Landgerichts II stattfinden.
Der Abend – 2. Juli 1928
Der Raubmord in der Stadtbahn
Ein Zwanzigjähriger vor den Richtern.
Sohn eines vorbestraften Trinkers, der seine Frau mißhandelte und seine Kinder zum Stehlen anhielt, eine Schwester früh in Fürsorge und später aus Abwegen, schleppt der 20jährige Horst Kiebach tagelang ein dreikantiges Eisen mit sich herum, um schließlich am 21. Dezember im Eisenbahnabteil zwischen Hirschgarten und Friedrichshagen die 20jährige Dora Perske auf die roheste Weise niederzuschlagen und zu berauben, heute hat er sich vor dem Landgericht II wegen Raubmordes zu verantworten.
Landgerichtsrat P e l t a s o n ist Vorsitzender. Es verteidigen Justizrat Dr. Schwindt und R.-A. Dr. Mendel. Sachverständige sind Dr. Dyrenfurth, Dr. Mahrenholz, Dr. Michaelis und Professor Brüning. Auch Vertreter des Bezirksjugendamtes und der Sozialen Gerichtshöfe haben im Gerichtssaal Platz genommen. Das Verbrechen des Zwanzigjährigen hätte vielleicht nicht so großes Aufsehen erregt, wenn die Familie Kiebach - Vater, Mutter und Tochter - nicht von der Meineidsfabrik Olerich her so bekannt geworden wäre. Dieser Meineidsprozeß scheint auch für den jungen Menschen mit zum Verhängnis geworden zu sein. Durch ihn erfuhr er zum erstenmal, daß sein Vater vorbestraft war. So verlor er den letzten Rest von Respekt vor ihm. Um seine Braut nicht zu verlieren, deren Familie nun gleichfalls über sein Elternhaus Bescheid wußte, renommierte er mit Verdiensten, die er nicht zu erwarten hatte, trieb sich auf diese Weise selbst in das grauenhafte Verbrechen hinein. Wie schon oft, so auch in diesem Falle, scheint der erste Eindruck, den alle, die mit dem Angeklagten in Berührung kommen, erhalten, sich zu bewahrheiten: man glaubt diesem jungen Menschen, wie er hier vor Gericht seine kurze Lebensgeschichte bescheiden, korrekt und intelligent erzählt, die Tat nicht zutrauen zu können. Doch wird sie bei einem gewissen moralischen Defekt im Verein mit dem Fehlen von Hemmungen und einer inneren Verwahrlosung, die er seiner Erziehung verdankt, schon verständlich. Erst 14fährig, wird er wegen eines Sittlichkeitsverbrechen an einem achtjährigen Mädchen bestraft, und später folgen in gewissen Abständen verschiedene Eigentumsvergehen. In der Schule war der kleine Horst ein guter Schüler. Im Alter von neun Jahren erhält er vom Vater Taschengeld, das er in Cafés ausgeben darf - damals schwärmte er von einer Matrosenlaufbahn und ging in einem schmucken Marineanzug -, als Laufbursche im Dürerhaus bekommt er reichliche Trinkgelder, auf Veranlassung des Vaters verkauft er seinen Lehrern Zigaretten, die die Schwester auf Befehl des Vaters in der Zigarrenfabrik, in der sie arbeitet, stehlen muß. Zur selben Zeit ist der Junge ständiger Zeuge der Mißhandlungen der Mutter durch den angetrunkenen Vater. Nach Verlassen der Schule kommt Horst zu einem Werkzeugmacher in die Lehre. Er bringt kleine Maschinenteile nach Haufe und verschärft sie.
Später stiehlt er auf Veranlassung des Vaters ganze Werkzeuge; schließlich wird er wegen Diebstahls entlassen.
Auf den darauf folgenden Arbeitsstellen wiederholt sich das gleiche Spiel. Jetzt nimmt sich seiner die Fürsorge an. die schon früher Gelegenheit hatte, sich mit seiner Schwester Lotte zu beschäftigen. Der Sechzehnjährige arbeitet von nun an mit seinem Vater, der Präparator ist. Zwischen diesem und dem Sechzehnjährigen kommt es öfter zu schweren Auseinandersetzungen und Streitigkeiten. Der Junge, der eifrig Sport treibt, ist gezwungen, wochenlang aus sein geringes Taschengeld zu warten. Dann wieder geht es hart auf hart, wenn der besoffene Vater die Mutter mißhandelt; Horst wirft sich dazwischen und wird handgreiflich gegen den Vater. Die Folge davon ist, daß der Sohn tagelang vom Hause fortbleibt, zeitweilig zu arbeiten aufhört und auch außerhalb Berlins weilt. Besonders schlimm war der Vater aus die Liebesverhältnisse des Sohnes zu sprechen. Seit 1925 unterhielt dieser Beziehungen zu einem Mädchen, das einer Lichtenberger Familie angehörte. Es herrschten dort äußerst geordnete Verhältnisse. Kiebach war zwar nicht offiziell verlobt, man betrachtete ihn jedoch als Familienangehörigen.
Am 15. Dezember fand der Meineidsprozeß Olerich-Mittendorf statt. Um den unangenehmen Eindruck, der durch diesen Prozeß bei der Familie der Braut entstanden war, zu verwischen, erzählte der Angeklagte, daß er in der nächsten Zeit etwa 400 Mark verdienen würde und daß er beim Rennen rund 300 Mark gewonnen habe. Weihnachten stand vor der Tür, es mußten Geschenke gekauft werden. Am Sonnabend, dem 17. Dezember, hatte der Sohn seinem Vater drei Mark nicht abgeliefert, die er für ihn einkassiert hatte. Der Vater drängte. Der Sohn wußte nicht, woher er das Geld nehmen sollte, und befürchtete einen Skandal. Am 20. Dezember ging er aus dem Hause und versuchte ohne Erfolg, bei seinen Bekannten Geld aufzutreiben; er erhielt an einer Stelle 1 Mark, für die er sich bei Aschinger ein paar Brötchen kaufte, außerdem eine Abendzeitung und einige Zigaretten. Dann setzte er sich in einen Ringbahnzug, wie er sagt, um nicht zu früh nach Hause zu kommen, fuhr kreuz und quer und wurde gegen 2 Uhr in Kaulsdorf im Eisenbahnwagen geweckt. Er durfte auf dem Bahnhof bleiben und stieg um ½ 5 Uhr morgens in einen Zug, um sich auszuschlafen. Wieder fuhr er kreuz und quer und befand sich gerade in einem Zug, der nach Friedrichshagen ging, als auf dem Schlesischen Bahnhof ein junges Mädchen das gleiche Eisenbahnabteil bestieg. Anfangs war K. mit dem jungen Mädchen allein im Abteil, dann bestieg ein junger Mann für kurze Zeit das Abteil. Kiebach behauptet, daß er das Mädchen angelächelt, sie sein Lächeln erwidert und er beabsichtigt habe, mit ihr gemeinsam auszusteigen. Als er aber kurz nach Hirschgarten durch ihr Hantieren mit der Geldbörse einen Geldschein erblickte, nahm er, enerwartet für sich selbst, das in ein Papier eingewickelte Eisenlineal heraus und
begann auf das junge Mädchen loszuschlagen.
Diese hob wie zum Schutz die Hände - Kiebach schlug weiter auf sie ein; sie flüchtete ins Nebenabteil, Kiebach folgte ihr und bearbeitete sie mit weiteren Schlägen - bis sein Opfer zusammen brach. Dann nahm er die Börse des Mädchens an sich und fuhr nach Berlin. Hier suchte er seine Schwester auf, ließ sich die Haare schneiden und rasieren, speiste in einem Restaurant; sprach darauf eine Prostituierte an, mit der zusammen er sich bei Tietz ein Oberhemd. Taschentücher, Kragen und Krawatten kaufte und verbrachte den Abend mit dem Mädchen in einem Hotel. Die 55 Mark, die er geraubt hatte, waren alle.
Am selben Abend suchte er feinen Freund Brüning auf, dem er von seiner Tat erzählte und der auch später bei der Polizei Anzeige gegen ihn erstattete. Bevor ihm im Polizeipräsidium noch der wahre Grund seiner Verhaftung mitgeteilt worden war, fragte er den Beamten: „Ist es wahr, daß sich Verbrechen von den Vätern auf die Söhne vererben?" Bald darauf legte er unter Schluchzen ein Geständnis ab.
Vorwärts, Morgenausgabe – 3. Juli 1928
Der Raubmordprozeß Kiebach
Aug' in Auge mit dem Vater der Ermordeten.
Das Verbrechen, das Horst Kiebach begangen hatte, kann seiner ganzen Grauenhaftigkeit erst in dem Augenblick zum Bewußtsein der Zuhörer, als man den Vater der erbarmungslos Ermordeten im Gerichtssaal sah. Wie dieser breite, kräftige, untersetzte Mann krampfhaft den Stockgriff umklammerte, als hielte er sich nur mit Mühe zurück, um sich, nicht auf den Mörder zu stürzen; wie sein Mund konvulsivisch zuckte und seine verheiratete Tochter ihn, als er sich auf den Stuhl niederließ, beruhigend über die Haare streichelte; wie er dann im Anblick des Jammers, fast unartikulierte Laute hervorstoßend, den Gerichtssaal verließ. Der Angeklagte kaute aber währenddessen etwas, als merke er nichts davon.
Auch als Kriminalrat Gennot erzählte, wie die Kriminalpolizei aus der langen Reihe der in Betracht kommenden Vorbestraften auch Kiebach, der einmal wegen Sittlichkeitsverbrechen und das andere Mal wegen Diebstahls im D-Zuge betraft war, ins Auge faßte, wie sie auf Grund einer vertraulichen Mitteilung ihn verhaftete und über den Mord ausfragte, während dieses ganzen umfangreichen Berichts des Kriminalkommissars hielt der Angeklagte seinen Kopf hinter der Barriere halb versteckt und - kaute. Das war der echte Kiebach, unbekümmert, harmlos und sittlich stumpf.
Deshalb war es weiter nicht verwunderlich, daß der Vorsitzende vor Eintritt in die Gerichtsverhandlung sich an ihn mit einer Ermahnung wandte, indem er sagte:„Was mir bis jetzt aus den Akten und aus den Briefen von Ihnen bekannt geworden ist, erweckt in mir den Eindruck, daß Sie sich weder der Schwere der Straftat, die zur Verhandlung steht, bewußt noch über Ihre persönliche Lage im klaren sind." Den gleichen Eindruck von dem Angeklagten hatte auch kurz noch der Tat der Kriminalrat Gennat. Jetzt scheint der Zwanzigjährige allerdings schon zu begreifen, was auf dem Spiele steht. Er bestreitet deshalb auch seine anfangs gemachte Aussage. Er will nicht von vornherein darauf ausgegangen sein, irgend etwas zu tun, um Geld zu bekommen. Er bestreitet auch, zu diesem Zweck das Eisenlineal an sich genommen zu haben: zuerst habe er es bei sich getragen, um es zum Vernickeln zu geben und am Tage vor der Tat es nur zufällig in die Tasche gesteckt. Er behauptet, am verhängnisvollen Morgen eigentlich die Absicht gehabt zu haben, nach Hause zu fahren. Auf das Mädchen dreingeschlagen zu hoben sei eine Tat, die ihm selber unbegreiflich sei.„Jetzt scheint es mir, daß ich damals wie ein Wilder war."
Kiebach ist sich aber auch jetzt noch nicht voll und ganz seiner Lage bewußt. Kurz vor der Gerichtsverhandlung schrieb er an seine Schwester und bat sie, seine Braut zu veranlassen, für ihn Socken auszusuchen, die er am Tage des Prozesses tragen könne, sie kenne doch seinen Geschmack. Gesühlskälte und Gefühlsroheit. das sind die ausschlaggebenden Charaktereigenschaften dieses Einumdzwanzigjährigen. Als der Vater die Mutter mißhandelte, dachte er nicht daran, daß er in seinem Jungen die höheren ethischen Gefühle erschlage; als er ihn zum Stehlen anhielt, machte er sich keine Gedanken darüber, daß bei einem jungen Menschen vom Diebstahl zum Raubmord oft nur ein Schritt ist. Hier war dies aber der Fall. War es Totschlag oder Mord? Ist die Tat mit Ueberlegung ausgeführt oder nicht? Das heißt für den Angeklagten soviel wie Leben oder Tod! Jetzt weiß er es!
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In der„Deutschen Zeitung" muß am ersten wirklich heißen Tag des Jahres ein germanischer Schwächling sofort eine Art Sonnenstich bekommen haben. In diesen traurigen Zustand setzte er sich nämlich hin und schrieb: „R e i ch s b a n n e r m a n n Kiebach vor Gericht". Nach unseren Erkundigungen hat der unselige Kiebach vielmehr einer v o l k i s c h e n Organisation angehört.
Der Abend – 3. Juli 1928
Die Mutter des Mörders.
Der Staatsanwalt beantragt die Todesstrafe.
Bildete den Höhepunkt der gestrigen Sitzung die dramatische stumme Szene mit dem Vater der Ermordeten, so war es heute die tragische Aussage der Mutter des Mörders. Ihr Schmerz schien auch den Angeklagten tief zu ergreifen: Er saß da, hochrot, mit tiefgesenktem Kopf. Als ein von der Mutter an ihn ins Gefängnis gesandter Brief verlesen wurde, weinten beide, Mutter und Sohn.
Es ist eine eigene Sache um diesen Mörder. Da war der Direktor des Stadtvogteigefängnisses v. Holtzendorff als Zeuge. Er fand den Angeklagten nach dem Weihnachtskonzert wie besinnungslos auf dem Boden seiner Zelle liegend. So beeindruckt war er vom Gesang. Der junge Mensch tat dem alten erfahrenen Gefängnisbeamten derart leid, daß er sich um ihn besonders viel kümmerte und sich schließlich fragte: Wie hatte er nur sein Verbrechen begehen können? Da ist der frühere Freund des Angeklagten. B., dem er sofort nach der Tot von dem furchtbaren Geschehnis Mitteilung gemacht hatte, und der ihn später bei der Polizei angezeigt hat. Es war ihm äußerst schwer gefallen, denn er war nicht allein Kiebachs Freund, sondern hatte auch zeitweilig ein Verhältnis mit dessen Schwester. Die Frau des B, erzählt, wie Kiebach am Mittwoch abend nach ihrem Mann gefragt hatte, und wie sie am nächsten Morgen, als dieser ihr mitteilte, daß Kiebach das Mädchen überfallen und beraubt habe, von ihm verlangt habe, daß er sich sofort zur Polizei begebe. Er weigerte sich jedoch, dies zu tun. Zwischen den Eheleuten entstand ein heftiger Streit deswegen, der sich am Abend und am nächsten Tage wiederholte. Erst dann entschloß sich ihr Mann, die Anzeige zu erstatten. B., der wegen seiner Anzeige von der früheren Kiebach-Clique aufs schlimmste verfolgt wurde, machte seine Aussagen mit einer gewissen inneren Erregung. Kiebach ist im Junggesellenheim, in dem er übernachtete, am Mittwoch gegen 9 Uhr erschienen, Hat sich zu ihm auf den Bettrand gesetzt und ihm zugeflüstert: „Verdammt. Habe kein Schwein gehabt. Bin im Vorortzug den ganzen Tag gefahren. Habe gesucht und gesucht. Schließlich ist ein Mädchen eingestiegen. Immer wieder kamen Leute. Dann bin ich mit ihr allein gewesen.
Aas hat einen verdammt harten Kopf gehabt. Hat geschrien. Hab immer zugeschlagen und zugeschlagen.
Hab aufgepaßt, daß ich keine Blutspritzer bekomme. Bei der Gegenwehr hat sie mir das Hemd zerrissen." Nach diesem Gespräch überreichte ihm Kiebach ein Paket, in dem sich u. a. das zerrissene Hemd und die blutigen Handschuhe befanden, und außerdem noch das eiserne Lineal. Als dann von der Verteidigung, um die Aussage des mehrfach vorbestraften Zeugen zu erschüttern, die Frage aufgeworfen wird, ob er die Strafanzeige nicht wegen der Belohnung erstattet habe, erklärte Kriminalrat Gennat, daß B. seine Bekundungen der Polizei unter dem schwersten seelischen Druck gemacht habe. Nun ist die Mutter des Angeklagten an der Reihe, eine 53jährige Frau, der man ihr schweres Eheleben wohl ansieht. Zwei Jahre lang war die Ehe glücklich: dann begann ihre Leidenszeit. In der Nacht nach der Entlassung ihres Mannes aus dem Gefängnis wurde Horst gezeugt, und während der Schwangerschalt erhielt sie von dem Ehegatten dauernd Schläge. Im Alter von drei bis vier Jahren litt der Junge nach einem Fall an Krämpfen. Als er etwa neun Jahrs alt war, begünstigte der Vater in ihm eine gewisse Großspurigkeit. Er hielt ihn dazu an, daß er Uniform trage, versorgte ihn mit reichlichem Taschengeld und veranlaßte ihn, Cafés zu besuchen. Später schlug er ins direkte Gegenteil um. Als der Junge Lehrling wurde, hielt er ihn im höchsten Maße knapp. Dafür sagte er ihm aber: „Wenn du was mitbringen kannst, so bringe es nur ruhig mit.“ Und der Knabe stahl auf seiner Lehrstelle, bis er entlassen wurde. Auch auf der zweiten Lehrstelle meinte der Vater: „Wenn du für dich was mitbringst, kannst du auch für uns was mitbringen" Als dann die Zeugin das Verhältnis des Mannes zu ihr und.zu den Kindern schildert, kann sie ihrer Tränen nicht Herr werden. Der Vater war auf die Kinder stets schlecht zu sprechen.
„Totschlagen muß man sie", sagte er gewöhnlich.
„Und wenn Du dazwischen kommst, erhältst Du Dresche." Der Vater Kiebach, ein etwa 57jähriger Mann, dessen blosses Gesicht brutale Züge zeigt, verweigert seine Aussage.
Todesstrafe beantragt.
Nach einem halbstündigen Plädoyer beantragte der Staatsanwalt gegen Horst Kiebach wegen schweren Raubes mit Todeserfolg in Tateinheit mit Mord die Todesstrafe und Aberkennung der bürgerlichen Ehrenrechte auf Lebenszeit.
Vorwärts, Morgenausgabe – 4. Juli 1928
Todesurteil für Kiebach.
Das Gericht gegen die Todesstrafe.
Nach anderthalbstündiger Beratung - für den psychologisch wie juristisch komplizierten Fall vielleicht doch etwas zu wenig - verkündete das Gericht im Mordprozeß Horst Kiebach im Namen des Volkes sein Urteil: Der Angeklagte wird wegen Mordes in Tateinheit mit schwerem Raub mit Todeserfolg zum Tode und zum Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte auf Lebenszeit verurteilt.
Das Gericht hat seinem Urteil das erste schriftliche Bekenntnis Kiebachs zugrunde gelegt; darin hatte der Mörder unumwunden zugegeben, daß er fest entschlossen war, irgendein Verbrechen zu begehen und daß er in dieser Absicht den Zug bestiegen hatte. In Verbindung mit dem übrigen Verhalten des Angeklagten vor und während der Tat ist das Gericht zur Ansicht gelangt, daß
die Tat mit Ueberlegung ausgeführt
worden ist. Das Gericht ist nicht dem Gutachten der Sachverständigen, Medizinalrat Dr. Dyrenfurth gefolgt, der die Möglichkeit zugibt, daß bei dem zur hysterischen Psychopathie neigenden egozentrischen jungen Menschen unter dem Einfluß von Hunger und Durst der tagelang gehegte Plan zu einem plöglichen überlegungslosen Kurzschluß geführt habe. So blieb dem Gericht nichts anders übrig, als den Angeklagten auf Grund des Mordparagraphen zum Tode zu verurteilen. Es konnte sich aber nicht der Einsicht verschließen,
daß allein eine tragische Verkettung ungünstiger Umstände ihn zum Mörder gemacht hatte;
daß er es nicht geworden wäre, wenn er unter einem glücklicheren Stern geboren wäre. Deshalb erklärte der Vorsitzende, daß das Gericht von sich aus zu prüfen gehabt habe, ob es ein Todesurteil gefällt hätte, wenn nicht absolut zwingende juristische Gründe vorgelegen hätten; es sei zum Ergebnis gelangt, sagte er weiter, daß es angesichts einer großen Reihe von Nebenumständen, die in das Leben des Angeklagten hineingespielt haben, von der Todes strafe abgesehen hätte, wenn es die freie Wahl gehabt hätte. So wurde hier das Todesurteil gegen Kiebach gewissermaßen zum Todesurteil gegen den Mordparagraphen. Das Gericht hat sein Urteil zwar seinem juristischem Gewissen gemäß gefällt, zugleich aber gegen sein menschliches Gewissen gehandelt.
Zur grausamen Tat des 21jährigen Horst Kiebach und zu seiner Persönlichkeit ist nur noch wenig nachzutragen: Geblendet von seinem lieben Ich, jedes Gemeinschaftsgefühls bar, glaubte der zwanzigjährige ein Verbrechen begehen zu müssen. Wäre nicht die 20jährige Dora Perske ihm zum Opfer gefallen, so hätte er sich wahrscheinlich ein anderes Opfer geholt. Seine Eltern ahnten Schlimmes und veranlaßten ihn, den Dreikant aus dem Paletot zu nehmen; der Zeuge Schwarz sah das Mordinstrument, als Kiebach eines Abends unter verdächtigen Umständen bei ihm.in der Wohnung erschien. Der junge Mensch war gewissermaßen dem Dreikant auf Leben und Tod verfallen. Und darin liegt eine gewisse Tragik. In knabenhaftem llebermut hatte er
dies eiferne Lineal für den Eisenkönig Breitbart verfertigt,
es später für die Zeichnungen seines perpeteum mobiles benutzt, um es schließlich als Jüngling zum Mordwerkzeug an seinem Opfer werden zu lassen. Nicht geringere Tragit liegt darin, daß sein Beruf, der ihm zur Lebensgestaltung verhelfen sollte, hier zum Todeshelfer wurde. Als Präparator gewohnt, mit Menschenknochen und Menschenleibern zu hantieren, Augenzeuge dessen, wie sein Vater mit Menschenknochen nach der Mutter warf, sah er im fremden Menschen weniger ein fühlendes und leidendes Geschöpf als ein Bündel von Knochen, Muskeln und Nerven. Eben erst hatte er einem unschuldigen Mädchen den Schädel eingeschlagen und zu Hause fand er
auf dem Herd in einem Tops Menschenschädel kochend.
Was der Beruf in ihm an Gefühlsroheit schuf, wurde durch das Elternhaus nicht gemildert. Aus dieser Häuslichkeit hinweg wollte er sich in das geordnete Familienleben im Hause seiner Braut retten. Die Mängel der Erziehung hatten aber bereits eine zu große Macht über ihn gewonnen, der Einfluß der Braut und ihrer Eltern waren nicht imstande, das gutzumachen. was an ihm verdorben worden war - die Liebe des tüchtigen Mädchens konnte ihn nicht mehr retten. Und so sind es drei Familien, die schwer an der Tat leiden müssen: die Eltern der Ermordeten, die Angehörigen des Mörders und die Familie der Braut.
Tragisch wirkt schließlich die Tatsache, daß, wie im Falle des jungen Schumann, der am Vorabend von Weihnachten 1926 den Tabakhändler Wurzel tötete und im Falle des Maurergesellen aus Königsberg, der zu Weihnachten 1927 den Geldbriefträger niederschlug, auch hier um des Weihnachtsfestes und seiner Geschenke willen ein so gräßliches Verbrechen begangen werden konnte. Hatte es wirklich geschehen müssen?
Breslau - Hunsfelder Stadtblatt - Mittwoch, 4. Juli 1928
Auswurf der Menschheit
Prozeß gegen den 21 jährigen Mörder Kiebach.
Das Berliner Schwurgericht hat schon manchen Mörder gesehen, für den selbst Richter, die vielerlei erlebt haben, keine Spur von Mitgefühl haben konnten. Selten aber sah man
einen so kaltblütigen jungen Menschen wie jetzt den Mörder der jungen Dora Perske, den 21jährigen Horst Kiebach.
Dieser Kiebach war mit seinen 21 bereits fünfmal vorbestraft, dreimal wegen Diebstahls, einmal wegen Betrugs und als 14 jähriger schon wegen eines Sittlichkeitsverbrechens.
Jm vergangenen Dezember war er dem Vater drei Mark schuldig und ging deshalb nicht nach Hause. In der Berliner Stadtbahn wollte er sich das Geld schon beschaffen. Mit einer Passantin bandelte er an und versetzte ihr dann plötzlich mit einer Linealkante Schläge auf den Kopf, so daß das junge Mädchen - die Dora Perske - taumelte.
Nach der Tat brüstete er sich mit dem gelungeen Raubmord, hohnlachte daruber, daß die Welt solches Aufsehen davon machte, wo doch nur »ein Mensch und 55 Mark verlorengegangen seien“. Bei Kiebach hieß es 55 Mark und ein Mensch, denn Geld ist ihm wichtiger als alles andere.
Während der Gerichtsverhandlung benimmt er sich unflatig, er lacht und kaut, als er verhört wird. Kennzeichnend für seine Frechheit ist die Ausgabe einer Verlobungsanzeige während der Untersuchungshaft mit dem Bemerken "Eine Feier findet nicht statt."
Das Gericht wird Kiebach aburteilen, der Fall ist aber damit noch nicht erledigt. Denn sein Milieu ist nicht besser als er und die Freunde des Angeklagten verraten einen Gemütszustand, der erschreckend ist. Der Auswurf der Menschheit steht hier vor Gericht.
Zwönitztaler Anzeiger - 4. Juli 1928
Todesstrafe gegen Kiebach beantragt
Der Prozeß gegen den jugendlichen Raubmörder.
Im weiteren Verlauf des Prozesses gegen den 21- jährigen Horst Kicbach, der ein junges Mädchen, Dora Perske, in einem Berliner Vorortzuge auf brutalste Weise ermordet hat, wurden die Angehörigen und ein Frenud des Täters vernommen. Aus der Aussage seines ebenfalls bereits vorbestraften Freundes Büttgen ersieht man wiederum die unglaubliche Roheit, die Kiebach auch nach der Tat noch an den Tag legte. Er kennt für sein Opfer kein Mitleid und benennt das Mädchen mit
Ausdrücken der Gasse,
die man nicht wiedergcben kann. Bezeichnend für die Verbrecherclique um Kiebach ist es, daß der Freund Büttgen, der ihn angezeigt hat, in einem fort belästigt wird und sogar schon mehrfach überfallen worden ist. Die Zuhörer mutet es bei der Veranlagung des Kiebach seltsam an, daß die Braut auch heute noch bei ihm bleiben will, obwohl doch dcr Angeklagte nicht eine Spur von Reue zeigt und auch im Verkehr mit seinen Angehörigen sich als derselbe Rohling erwiesen hat wie jetzt im Gerichtssaal.
Nur einmal bricht er in Tränen aus,
als die Mutter von dem zerrütteten Leben in der Familie Kiebach erzählt. Der Vater, der den Gefängnissen Berlins ebenfalls kein Fremder ist, verweigert die Aussage über das Vorleben seines Sohnes und sein Verhältnis zu ihm.
Der Staatsanwalt führte aus, daß man bei Horst Kiebach vergeblich nach Milderungsgründen suchen müsse. Es liegt nicht etwa, wie der Angeklagte vorzutäuschen suche, Totschlag vor, sondern ein Mord, für den die Krinnnalgeschichte seinesgleichen sucht. Er beantragte daher Todesstrafe.
Ingolstädter Anzeiger - Donnerstag 5. Juli. 1928
Der Raubmord wegen drei Mark.
Ein Opfer seiner Erziehung.
Am Montag begann in Berlin vor dem Landgericht II ein Raubmordprozeß gegen den 20 jährigen Schlosser Horst Kiebach, der am 21. Dezember 1927 in einem Eisenbahnabteil
zwischen Hirschgarten und Friedrichshagen die 20jährige Dora Perske auf roheste Weise niederschlug und beraubte. Vor dieser Tat hatte sich Kiebach bereits wegen verschiedener anderer Vergehen zu verantworten. Als Vierzehnjähriger war er wegen eines Sittlichkeitsverbrechens angeklagt später machte er sich wiederholt des Diebstahls schuldig, bis er in die Fürsorge ausgenommen wurde Aus der Zwangserziehung entlassen, arbeitete Kiebach zunächst mit seinem Vater, der Präparator ist. Bald kam es zwischen beiden zu schweren Auseinandersetzungen und Streitigkeiten. Der Junge, der eifrig Sport trieb, war gezwungen, wochenlang auf sein geringes Taschengeld zu warten. Der betrunkene Vater mishandelte seine Mutter: die Folgen waren Handgreiflichkeiten zwischen Vater und Sohn. Tagelang blieb der kaum Siebzehn jährige von Hause fort, zeitweilig ohne zu arbeiten und außerhalb
Berlins. Eines Tages hatte er für seinen Vater drei Mark einkassiert ohne das Geld abzuliefern Er hatte es für sich verausgabt. Das war kurz vor Weihnachten. Der Vater drängte, er bestand auf dem Geld. Der Sohn wußte nicht, woher er es nehmen sollte und befürchtete einen Skandal. Tagelang irrte er bei Bekannten und Verwandten umher, um die drei Mark zu borgen. Alles ohne Erfolg Schließlich setzte er sich vor Verzweiflung auf die Ringbahn und fuhr kreuz und quer durch die Gegend.
Am 17. Dezember wurde er gegen 2 Uhr nachts in Kaulsdorf im Eisenbahnpackwagen ausgefunden. Voller Mitleid erlaubten ihm die Beamten auf dem Bahnhof zu bleiben und sich auszuschlafen. Am nächsten Morgen um 1/2 5 Uhr begann das Elend von neuem. Wieder fuhr er kreuz und quer: auf dem einen Bahnhof stieg er ein, auf dem anderen Bahnhof stieg er aus, um den Gegenzug zu benutzen. Der Zufall wollte es, daß am 17. Dezember auf dem Schlesischen Bahnhos die in Friedrichshagen wohnhafte Dora Perske in das von dem Mörder benutzte Abteil einstieg, um nach Hause zu fahren. Kiebach behauptet, daß er das Mädel anfangs angelächelt. sie sein Lächeln erwidert habe und er beabsichtigt hatte mit ihr gemeinsam auszusteigen. Als er aber kurz nach Hirschgarten durch ihr Hantieren mit der Geldbörse einen Geldschein erblickte, will er, unerwartet für sich selbst, das in Papier eingewickelte Eisenlineal herausgenommen haben. Er schlug so lange auf sein Opfer ein bis es tot zusammenbrach. Dann nahm er die Börse an sich und fuhr nach Berlin. Hier suchte er seine Schwester auf, ließ sich die Haare schneiden und rasieren, speiste in einem Restaurant und begab sich schließlich mit einer Prostituierten zu ..... um dort Wäsche zu kaufen. Die folgende Nacht verbrachte er mit seiner Begleiterin gemeinsam in einem Hotel. Am nächsten Morgen waren die geraubten 55 Mark alle. Einem Freund erzählte er dann von seiner Tat. Kurz darauf wurde er auf Grund seiner Selbstbezichtigung verhaftet: er legte noch kurzem Leugnen ein umfassendes Geständnis ab.
Jetzt steht dieser gerade 20 jährige Mensch, durch seine Erziehung und die häuslichen Verhältnisse seiner Eltern verroht, vor den Richtern, damit ein scheußliches Verbrechen seine Sühne findet.
Das Urteil.
Berlin, 3 Juli. Im Prozeß gegen Kiebach fällte am Dienstag nachmittag das Schwurgericht das Urteil. Der Angeklagte wurde wegen Mordes in Tateinheit mit schwerem Raub zum Tode
verurteilt unter Aberkennung der bürgerlichen Ehrenrechte auf Lebensdauer. das Mordinstrument wird eingezogen.
In der Begründung des Urteils wird ausgeführt, daß der Täter den Mord mit größter Kaltblütigkeit geplant hat. Von einer Tat des Affekts könne keine Rede sein. Das Gesetz habe sich aber genötigt gesehen, auch zu prüfen, ob Anlaß vorhanden sei für ein später einzuleitendes Gnadenversfahren. Das Gericht stellte fest, daß es, wenn es bei der Urteilsfällung einen weiteren Strafrahmen gehabt hätte, wie ihn die geplante Reform vorsieht, das Familienmilieu des Angeklagten sowie den abstumpfenden Beruf als Präparator und seine besonders geartete Psyche berücksichtigt und von einer Todesstrafe abgesehen hätte. Das Schwurgericht habe es für seine Pflicht gehalten. dies zum Ausdruck zu bringen.
Vorwärts, Morgenausgabe – 6. Juli 1928
Kiebach nimmt das Urteil an.
Gnadengesuch der Verteidiger.
Der vom Schwurgericht wegen Raubmordes zum Tode verurteilte 21jährige Präparator Horst Kiebach hat auf das Rechtsmittel der Revision beim Reichsgericht verzichtet, so daß das Todesurfeil damit rechtsfräftig wird.
Die Rechtsanwälte Dr. Schwindt und Sidney Mendel haben nunmehr ein Gnadengesuch eingereicht, das Todesurteil nicht zur Vollstreckung zu bringen, und sie haben sich dabei auf die Stellungnahme des Schwurgerichts gestützt, die Landgerichtsdirektor Peltason bei der Verkündung der Todesstrafe mitteilte. Das Schwurgericht hätte nicht auf Todesstrafe erkannt, wenn das jetzige Strafrecht beim Mord die Wahl zwischen der Verurteilung zum Tode und einer anderen Strafe zulassen würde, wie es in dem neuen Strafgesetzentwurf vorgesehen ist. Kiebach wird wahrscheinlich nicht hingerichtet werden, sondern die Todesstrafe wird in lebenslängliches Zuchthaus umgewandelt werden.
Die von Kiebach in der Verhandlung und bei der Verkündung des Todesurteils zur Schau getragene Kaltblütigkeit hat sich gründlich gewandelt. Seit seiner Rückkehr in die Gefängnisszelle ist Kiebach völlig zusammengebrochen und weint dauernd. Er hat an seine Braut, die ihm noch in der Hauptverhandlung erklärt hatte, daß sie die feste Absicht habe, den Mörder zu heiraten, einen Abschiedsbrief gerichtet. Kiebach bittet seine 20jährige Braut, daß sie ihn sofort im Gefängnis besuchen möchte. Er wolle sie noch einmal sprechen und dann für immer von ihr Abschied nehmen. Nach Rechtskraft des Urteils wird die Gefängnisverwaltung, die dann für die Erteilung der Sprecherlaubnis zuständig ist, dem Wunsche des Mörders Rechnung tragen.
Danziger Volksstimme - Freitag 6. Juli 1928
Kiebach nimmt das Todesurteil an.
Ein Gnadengesuch.
Der am Dienstag vom Berliner Schwurgericht wegen Raubmordes an der Dora Perske zum Tode verurteilte 21jährige Pärparator Horst Kiebach hat auf das Rechtsmittel der Revision verzichtet, so daß, das Todesurteil damit rechtskräftig wird. Die Rechtsanwälte haben nunmehr ein Gnadengesuch eingereicht.
Münchner neueste Nachrichten - 28.11.1928
Der wegen Raubmordes zum Tode verurteilte 21 Jährige Präparator Horst Kiebach aus Berlin ist mit Rücksicht auf seine Jugend zu lebenslänglichem Zuchhaus begnadigt worden.